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Axis

Axis

Titel: Axis Kostenlos Bücher Online Lesen
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man ihn grüßen konnte, sah er so schlicht aus wie ein Betonpfeiler, der sich zufällig aus dem Meer erhob – nur dass dieser Pfeiler eben nicht aufhörte, sich zu erheben, sondern irgendwann einfach den Blicken entschwand. Doch der Bogen war kein inaktives Monument, ganz gleich, wie statisch er erscheinen mochte. Er war eine Maschine. Er kommunizierte mit einer Kopie seiner selbst – oder seiner anderen Hälfte –, die in der Neuen Welt installiert war, viele Lichtjahre entfernt. Vielleicht kreiste diese Neue Welt ja um einen der Sterne, die Turk vom Deck der Kestrel aus sehen konnte – ein beängstigender Gedanke. Der Bogen mochte unbelebt erscheinen, aber in Wirklichkeit regelte er den Verkehr zwischen zwei Welten. Das war seine Funktion. Wenn ein Vogel, ein entwurzelter Baum oder eine Meeresströmung unter dem Bogen durchkamen, setzten sie ihren Weg ungestört fort. Die Gewässer der Erde und die der Neuen Welt vermischten sich nie. Aber wenn ein bemanntes Hochseeschiff den Bogen durchquerte, wurde es gepackt und über eine unvorstellbare Entfernung transportiert. Allen Berichten zufolge war der Übergang so leicht, so undramatisch, dass man fast enttäuscht war, doch Turk wollte ihn trotzdem hier im Freien erleben, nicht unten im Mannschaftsquartier, wo er nicht einmal merken würde, wann es passierte, jedenfalls nicht, bevor die rituelle Schiffshupe ertönte.
    Er sah auf seine Uhr. Es war fast so weit. Er wartete gespannt – als Tomas ins grelle Licht der Decklampe trat und ihm zugrinste.
    »Ja, erstes Mal«, kam Turk dem unvermeidlichen Kommentar zuvor.
    »Brauchst dich nicht zu rechtfertigen, Mann«, erwiderte Tomas. »Ich komm jedes Mal raus, wenn ich durchfahre. Ob bei Tag oder Nacht. Respekt erweisen oder so was in der Art.«
    Wem Respekt erweisen? Den Hypothetischen? Turk fragte nicht nach.
    Tomas wandte sein zerfurchtes Gesicht zum Himmel. »Da kommt er.«
    Also machte sich Turk bereit – unnötigerweise – und beobachtete, wie die Sterne verblassten und um den Scheitel des Bogens wirbelten wie Spiegelungen im aufgewühlten Wasser. Dann plötzlich war Nebel rund um die Kestrel oder ein Dunst, der ihn an Nebel erinnerte, obwohl die Feuchtigkeit fehlte. Ein vorübergehendes Schwindelgefühl, ein Druck in den Ohren. Und dann kehrten die Sterne zurück. Doch es waren andere Sterne, dicker und heller in einem schwärzeren Himmel. Und die Luft schmeckte und roch anders. Ein Windstoß fegte um die Stahlkanten des Topdecks, wie um sich vorzustellen: warme Luft, salzig, belebend frisch. Auf der Kommandobrücke der Kestrel schlug in diesem Moment, wie es bei jeder Querung geschah, die Kompassnadel um, und die Schiffshupe ließ ein langgezogenes Heulen ertönen – schmerzhaft laut und dennoch fast zaghaft auf einem Meer, das erst vor kurzer Zeit mit der Menschheit Bekanntschaft gemacht hatte.
    »Die Neue Welt«, sagte Turk und dachte: Das war alles? So leicht ist das?
    »Äquatoria«, murmelte Tomas, den Kontinent mit dem Planeten verwechselnd wie die meisten. »Wie fühlt es sich an, ein Raumfahrer zu sein, Turk?«
    Doch Turk konnte nicht antworten, denn zwei Besatzungsmitglieder, die unbemerkt übers Topdeck geschlichen waren, schütteten lachend einen Eimer Salzwasser über ihn. Ein weiterer Übergangsritus, eine Taufe für den jungfräulichen Matrosen. Er hatte – endlich – den seltsamsten Meridian der Welt überquert. Und er hatte nicht die Absicht, zurückzukehren.
     
    Tomas, der schon bei Antritt der Reise unter gewissen Altersgebrechen litt, wurde verletzt, als das Anlanden der Kestrel schieflief.
    Es gab keine Docks oder Kaianlagen am Breaker Beach. Turk hatte das von der Reling aus gesehen, bei seinem ersten richtigen Blick auf die Küste von Äquatoria. Wie eine Fata Morgana ragte der Kontinent aus dem Horizont, rosigfarben im Morgenlicht, wenn auch nicht unberührt von menschlicher Hand: In den drei Jahrzehnten seit Ende des Spins war der westliche Rand von Äquatoria der Wildnis entrissen und in ein Chaos aus Fischerdörfern, Holzfällercamps, primitiver Industrie, brandgerodetem Ackerland, hastig angelegten Straßen, einem Dutzend aufstrebender Orte und einer Großstadt verwandelt worden, durch die der größte Teil der Ressourcen des Hinterlands geschleust wurde. Breaker Beach, fast hundert Seemeilen nördlich von Port Magellan gelegen, war wohl der hässlichste Abschnitt an der ganzen Küste – Turk konnte das schwerlich beurteilen, aber der philippinische Frachtmeister war entschieden

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