Axis
»Nun ja… sie interessiert sich für Vierte.«
»Meine Güte!« Tomas verdrehte die Augen. »Interessiert sich? Also willst du mich ihr vorführen? Als Ausstellungsstück A oder so was?«
»Nein. Ich möchte, dass sie mit Diane redet. Aber vorher will ich deine Meinung hören.«
Diane, die westliche Ärztin – beziehungsweise Krankenschwester, als die sie sich beharrlich bezeichnete –, kam also von ihrem etwas landeinwärts gelegenen Dorf nach Breaker Beach, um Tomas’ aufgeschlitzten Arm zu verarzten. Turk war etwas misstrauisch, was sie betraf. In Äquatoria, zumal hier in dieser abgeschiedenen Gegend, gab es niemanden, der ärztliche Zulassungen überprüfte. Das war jedenfalls sein Eindruck. Wer eine Spritze und eine Flasche destilliertes Wasser besaß, konnte sich Arzt nennen, und die Abwrackerbosse freuten sich naturgemäß über jeden selbst ernannten Doktor, der gratis arbeitete, ganz egal, was dabei herauskam.
So saß Turk mit Tomas in einer leeren Hütte und wartete auf das Eintreffen dieser Frau. Er bemühte sich, Konversation zu machen, doch irgendwann schlief der ältere Mann ohnehin ein, während das Blut weiter durch den behelfsmäßigen Verband sickerte. Die Hütte war aus hiesigem Holz gebaut: runde, abgeschälte Äste, knubbelig wie Bambus, die ein flaches Blechdach stützten. Es roch nach abgestandenem Essen, Tabak und menschlichem Schweiß. Und es war heiß im Innern, auch wenn hin und wieder ein leiser Lufthauch durch die Gittertür drang.
Die Sonne ging bereits unter, als die Ärztin endlich die Holzstufen zur Hütte erklomm. Sie trug einen Kittel und weite Hosen aus einem Stoff, der in Farbe und Struktur an rohen Musselin erinnerte. Sie war keine junge Frau mehr. Ganz und gar nicht. Ihr Haar war so weiß, dass es wie durchscheinend wirkte. »Wer ist der Patient?«, fragte sie blinzelnd. »Und machen Sie bitte Licht – ich kann kaum etwas sehen.«
»Mein Name ist Turk Findley.«
»Sind Sie der Patient?«
»Nein, ich…«
»Zeigen Sie mir den Patienten.«
Er entzündete den Docht einer Öllampe und führte die Ärztin durch eine Schicht von Moskitonetzen zu der vergilbten Matratze, auf der Tomas schlief. Draußen in der Dämmerung kamen die Insektenchöre langsam in Schwung. Sie klangen völlig anders als die Insekten, die Turk von der Erde kannte, und doch bestand kein Zweifel daran, was es war. Vom Strand her war weiterhin das Hämmern der Abwracker zu hören, das Klingen von Blech, das Tuckern und Heulen der Dieselmotoren.
Tomas nahm nichts von all dem wahr. Die Ärztin - Diane – musterte den Verband um seinen Arm mit verächtlichem Blick. »Wie ist das passiert?«
Turk erzählte es ihr.
»Er hat sich also für Sie geopfert?«
»Ein Stück von seinem Arm jedenfalls.«
»Sie können wirklich froh sein, so einen Freund zu haben.«
»Wecken Sie ihn erst mal auf. Und dann sagen Sie mir, ob ich froh sein kann.«
Sie stupste Tomas an der Schulter. Er schlug die Augen auf und fing sofort an zu fluchen. Alte Flüche, kreolische Flüche. Er versuchte sich aufzusetzen, besann sich aber dann eines Besseren. Nach einer Weile richtete er seine Aufmerksamkeit auf Diane. »Und wer zum Teufel sind Sie?«
»Ich bin eine Krankenschwester. Beruhigen Sie sich. Wer hat Sie verbunden?«
»Ein Typ vom Schiff.«
»Ausgesprochen schlechte Arbeit. Lassen Sie mal sehen.«
»Na ja, ich schätze, es war das erste Mal für ihn. Er… au! Herrgott! Turk, ist das eine echte Krankenschwester?«
»Seien Sie nicht kindisch. Und halten Sie still. Ich kann Ihnen nicht helfen, wenn ich nicht sehen kann, was Ihnen fehlt.« Diane nahm die Wunde in Augenschein. »Nun gut. Sie haben Glück gehabt, dass keine Arterie durchtrennt ist.« Sie holte eine Spritze aus ihrer Tasche und zog sie auf. »Etwas gegen den Schmerz, bevor ich die Wunde säubere und nähe.«
Tomas machte Anstalten zu protestieren, aber das war nur Show. Er wirkte ziemlich erleichtert, als die Nadel in die Haut eindrang.
Turk trat zurück, um Diane Raum zum Arbeiten zu geben. Er fragte sich, wie es wohl war, sich sein Geld als Abwracker zu verdienen – unter einem Blechdach zu schlafen und inständig zu beten, dass man sich nicht verletzte oder ums Leben kam, bevor der Arbeitsvertrag auslief, bevor man die Abfindung erhielt, die sie einem versprochen hatten: einen Jahreslohn und einen Busfahrschein nach Port Magellan. Es gab einen offiziellen Lagerarzt, wie ihm der Abwrackerboss erklärt hatte, aber der kam nur zweimal die Woche,
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