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Axis

Axis

Titel: Axis Kostenlos Bücher Online Lesen
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frühester Jugend an im Hafen gearbeitet. Jahrzehntelang war er immer wieder zur See gefahren – während der turbulenten Jahre des Spins, als die US-Regierung zur »Stärkung der nationalen Sicherheit« die alte Handelsmarine wieder hatte aufleben lassen, und danach, als der Handel zwischen den beiden Seiten des Torbogens einen verstärkten Schiffsverkehr erforderlich machte.
    Wie für Turk war die Kestrel auch für Tomas das Ticket ins gelobte Land. Beziehungsweise in das, was sich beide als gelobtes Land ausmalten. Tomas war nicht naiv: Er hatte den Bogen bereits fünfmal durchquert, hatte mehrere Monate in Port Magellan verbracht, war also mit den Schattenseiten der Stadt wohlvertraut. Er wusste, wie grausam sie Neuankömmlinge behandeln konnte. Andererseits war es ein freierer, offenerer Ort, als es ihn auf der Erde gab, eine echte Seefahrerstadt, und er wollte die letzten Jahre seines Lebens hier verbringen – mit Blick auf eine Landschaft, in die die Menschheit erst vor Kurzem ihren Fuß gesetzt hatte. (Turk hatte so ziemlich aus dem gleichen Grund angeheuert, wenn es auch seine erste Reise durch den Bogen war: Er wollte so weit von Texas wegkommen wie möglich, aus Gründen, über die er sich nicht unbedingt näher auslassen wollte.)
    Das Problem mit der Kestrel war, dass sie, weil sie keine Zukunft hatte, schlecht gewartet worden war und kaum noch als seetüchtig bezeichnet werden konnte. Alle, die auf diese Reise gingen, waren sich dessen bewusst, vom philippinischen Kapitän bis hin zum syrischen Kombüsenjungen. Die Überfahrt wurde so zu einer riskanten Angelegenheit. Schlechtes Wetter hatte schon manches Schiff mit Kurs auf Breaker Beach versenkt, mehr als ein rostiger Kiel hatte seine letzte Ruhe unter dem Bogen der Hypothetischen gefunden.
    Doch das Wetter im Indischen Ozean war beruhigend freundlich, und da es für Turk das erste Mal war, riskierte er es, den Spott seiner Schiffskameraden auf sich zu ziehen, indem er die Durchquerung unbedingt an Deck verbringen wollte. Eine Nachtfahrt durch den Bogen. Er steckte sich einen Platz hinter dem Vorderdeck ab, wo er vor Wind geschützt war, bereitete sich ein Lager aus irgendwelchen alten Lumpen, streckte sich darauf aus und sah in die Sterne. Die Sterne – über den Himmel verteilt in vier Milliarden Jahren galaktischer Evolution, die vergangen waren, während die Erde in ihrer Spinmembran steckte, und nach dreißig Jahren immer noch namenlos. Doch die einzigen Sterne, die Turk je kennengelernt hatte. Er war gerade mal fünf gewesen, als der Spin zu Ende ging. Seine Generation war in der Nachspinwelt groß geworden, vertraut mit der Vorstellung, dass man auf einem Hochseeschiff von einem Planeten zum anderen fahren konnte. Turk allerdings war, anderes als die meisten seiner Zeitgenossen, nie imstande gewesen, diese Tatsache wirklich als selbstverständlich anzunehmen. Für ihn war es noch immer ein Wunder.
    Der Bogen der Hypothetischen war größer als alles, was menschliche Ingenieurs- und Baukunst je hätte bewerkstelligen können. Gemessen an Sternen und Planeten – der Ebene, auf der die Hypothetischen, wie man annahm, operierten – war es ein relativ kleines Objekt. Aber es war das größte gemachte Objekt, mit dem er es, so glaubte Turk, in seinem Leben zu tun bekommen würde. Er hatte es oft auf Fotos gesehen, auf Video, auf Skizzen in Schulbüchern, doch keine dieser Darstellungen wurde der Wirklichkeit gerecht.
    Mit eigenen Augen hatte er den Bogen zum ersten Mal vom Hafen in Sumatra aus gesehen, wo er die Kestrel bestieg. Das östliche Ende war an klaren Tagen sichtbar gewesen, vor allem bei Sonnenuntergang, wenn das letzte Licht es zu einer feinen goldenen Linie polierte. Nun aber befand er sich direkt unterhalb des Scheitelpunkts – was eine völlig andere Aussicht ergab. Man hatte den Bogen mit einem Ehering von tausendfünfhundert Kilometern Durchmesser verglichen, in den Indischen Ozean versenkt, sodass die eine Hälfte im Felsgrund des Planeten steckte, während die andere über die Atmosphäre hinaus in den Weltraum ragte. Vom Deck der Kestrel aus konnte er keinen der beiden Punkte erkennen, an denen der Bogen ins Meer eindrang, doch er konnte seine Spitze sehen, die das letzte Licht der Sonne reflektierte, ein silbrig blauer Pinselstrich, der an seinen westlichen und östlichen Enden dunkelrot ausfranste und in der noch heißen Abendluft zitterte.
    Von Nahem, sagten die Leute, wenn man so dicht an einem Bogenende vorbeifuhr, dass

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