Ayesha - Sie kehrt zurück
den Dienst an ihr und an einem anderen – du, Holly, warst dieser Weise –, fand sie die Essenz, die es ihr ermöglichte, Generationen, Religionen und Imperien zu überleben, indem sie in ihr badete und dabei schwor: ›Ich werde diese Ungetreuen töten. Ich werde sie töten, so wie es mir befohlen wurde.‹
Doch Ayesha tötete nicht, denn die Sünde der beiden war auch die ihre, da sie, die nie geliebt hatte, diesen Mann begehrte. Sie führte sie zur Quelle des Lebens, mit der Absicht, ihm und sich Unsterblichkeit zu geben und die Frau zu töten. Doch das Schicksal hatte es anders bestimmt, denn nun schlug die Göttin zu. Das ewige Leben war Ayeshas, wie es beschworen worden war, doch schon in seiner ersten Stunde erstach sie den Mann, den sie liebte, weil er ihrer überirdischen Schönheit die irdische Geliebte vorzog – und sie blieb allein zurück, allein – und unsterblich.
So rächte sich die Göttin für die Untreue: dem Priester gab sie einen raschen Tod, der Priesterin Ayesha eine lange Zeit der Reue und der Einsamkeit, und der königlichen Amenartas Eifersucht, die bitterer war als Leben oder Tod, und das Schicksal, in alle Ewigkeit versuchen zu müssen, die Liebe zurückzugewinnen, die sie der Göttin zu stehlen gewagt hatte, um sie wieder und immer wieder zu verlieren.
Das war der Anfang, und die Jahrtausende vergingen, und zur festgesetzten Zeit kehrte der Mann, den Ayeshas Herz begehrte, und dessen Wiedergeburt sie von einem Jahrhundert zum anderen erwartete, während sie seinen Tod betrauerte und ihre Sünden bitter bereute, zu ihr zurück. Doch nachdem einige Zeit alles gut war für sie und für ihn, schlug die Göttin wieder zu und nahm ihr ihre Belohnung. Vor den Augen ihres Geliebten zerfielen Ayeshas Schönheit und Jugend und die Unsterbliche schien zu sterben.
Doch, Kallikrates, ich sage dir, daß sie nicht gestorben ist. Hat Ayesha in den Höhlen von Kôr dir nicht geschworen, daß sie wiederkehren würde? Selbst in jenen entsetzlichen Stunden, da sie in Schande und Schmach versank, tröstete dieser Gedanke ihre Seele. Und stand nicht später, Leo Vincey, der du Kallikrates bist, ihre Seele nicht neben dir auf diesem Symbol des Lebens, das dir ein Leuchtfeuer sein sollte, um deinen Weg zu ihr zu finden? Hast du es nicht so in deinem Traum erlebt? Und hast du nicht viele Jahre lang nach ihr gesucht, ohne zu wissen, daß sie jeden deiner Schritte bewachte und dich in jeder Gefahr beschützte, bis du endlich zur festgesetzten Stunde den Weg zu ihr fandest?«
Sie machte eine Pause und blickte Leo an, als ob sie eine Antwort von ihm erwartete.
»Vom ersten Teil dieser Geschichte weiß ich nichts, Lady«, sagte er. »Vom zweiten Teil weiß ich – wissen wir –, daß er wahr ist. Doch möchte ich noch eine Frage stellen und bitte dich, sie aus Barmherzigkeit kurz und wahrheitsgetreu zu beantworten. Du hast gesagt, daß ich zur festgesetzten Stunde den Weg zu Ayesha fand. Doch wo ist Ayesha? Bist du Ayesha? Und wenn du es bist, warum klingt deine Stimme so verändert? Warum bist du kleiner als früher? Oh! Im Namen des Gottes, den du anbetest, sage mir, ob du Ayesha bist!«
»Ich bin Ayesha«, antwortete sie feierlich. »Dieselbe Ayesha, der du ewige Treue geschworen hast.«
»Sie lügt! Sie lügt!« schrie Atene. »Ich sage dir, mein Gemahl – das du das bist, hat sie selbst erklärt –, daß jene Frau, die behauptet, jung und schön gewesen zu sein, als sie vor weniger als zwanzig Jahren von dir schied, niemand anderes ist als die uralte Priesterin, die seit mindestens einem Jahrhundert in diesen Hallen der Hes herrscht. Soll sie es leugnen, wenn es ihr möglich ist!«
»Oros«, sagte die Mutter, »erzähle du die Geschichte des Todes jener Priesterin, von der die Khania spricht!«
Der Priester verneigte sich und sagte ruhig wie immer, als ob er ein völlig normales, alltägliches Vorkommnis schilderte, und mit einer Distanziertheit, die seine Darstellung alles andere als überzeugend klingen ließ: »Vor achtzehn Jahren, in der vierten Nacht des ersten Mondes im Jahr 2333 nach der Gründung des Hes-Kultes auf diesem Berg, starb die Priesterin, von der die Khania Atene spricht, an Altersschwäche. Sie hatte einhundertacht Jahre geherrscht, und ich war bei ihr, als ihr Leben erlosch. Drei Stunden später ging ich mit einigen Priestern wieder zu ihr, um sie vom Thron zu heben, auf dem sie gestorben war, und die Leiche für die Beisetzung im Feuer vorzubereiten. Doch ein Wunder war
Weitere Kostenlose Bücher