Ayesha - Sie kehrt zurück
Feierlichkeit und seinem furchterregenden Schauplatz, waren die genauen Kenntnisse über Leben und Treiben des Toten, die von Ankläger und Verteidiger demonstriert worden waren. Sie bewies, daß der Tempel der Hes, der immer wieder behauptete, daß ihn das Tun und Lassen der Menschen von Kaloon, über die er einst geherrscht hatte, nicht im mindesten interessiere, noch immer geistige Autorität über dieses Land besaß. Außerdem wurde damit die Existenz eines Spionagedienstes bewiesen, der so umfassend und so außergewöhnlich war, daß ich nicht glauben konnte, wie er ohne die ständige Hilfe von Hellsehern auskommen konnte.
Die Trauerfeier, wenn ich sie so nennen darf, war damit beendet; der Tote war den Aufzeichnungen seiner Sünden in den brodelnden Lavasee gefolgt und nur noch eine Handvoll glühender Asche. Doch wenn auch sein Buch geschlossen war, das unsere blieb aufgeschlagen, und zwar bei seinem seltsamsten Kapitel. Wir wußten das, alle von uns, und warteten mit zitternden Nerven.
Die Hesea saß zusammengesunken auf ihrem Felsenthron. Auch sie wußte, daß die Stunde der Wahrheit gekommen war. Schließlich seufzte sie und entließ mit einer Bewegung ihres Zepters die Priester und Priesterinnen, die daraufhin den Raum verließen. Zwei von ihnen blieben jedoch zurück, Oros und die ranghöchste Priesterin, eine junge Frau von adeligem Aussehen, die Papave genannt wurde.
»Hört, meine Diener«, begann die Hesea nach einer Weile. »Es werden heute große Dinge geschehen, die mit dem Kommen jener beiden Fremden zusammenhängen, auf die ich, wie ihr wißt, seit vielen Jahren gewartet habe. Ich kann euch nicht sagen, wie alles ausgehen wird, denn mir, der so viel Macht verliehen wurde, ist die Gabe der Präkognition nicht gegeben. Es ist sehr wohl möglich, daß dieser Platz bald frei werden und mein alter Körper Nahrung des ewigen Feuers wird. Nein, trauert nicht, trauert nicht, denn ich werde nicht sterben, und wenn doch, so wird meine Seele wiederkehren.
Höre, Papave! Du bist vom Blut der Hohepriesterinnen, und nur dir habe ich alle Türen der Weisheit geöffnet. Sollte ich jetzt oder in Kürze sterben, so sollst du meinen Platz einnehmen und alles so tun, wie ich es dir angewiesen habe, damit das Licht des Berges auf die ganze Erde falle. Außerdem befehle ich dir – und auch dir, Oros, mein Priester –, daß ihr, sollte ich jetzt abberufen werden, diese beiden Fremden in Gastfreundschaft aufnehmt, bis es euch möglich ist, sie aus dem Land zu begleiten, entweder auf dem Weg, auf dem sie gekommen sind, oder über die nördlichen Berge und durch die Wüste. Sollte die Khania Atene versuchen, sie gegen ihren Willen festzuhalten, so mobilisiert die Stämme gegen sie, im Namen der Hesea, jagt sie von ihrem Thron, erobert ihr Land und beherrscht es. Hört und gehorcht!«
»Mutter, wir haben gehört, und wir werden gehorchen«, antworteten Oros und Papave wie aus einem Mund.
Sie winkte mit dem Zepter, zum Zeichen, daß diese Angelegenheit erledigt sei. Dann saß sie eine lange Weile schweigend, mit gesenktem Kopf, anscheinend tief in Gedanken versunken. Als sie wieder sprach wandte sie sich an die Khania.
»Atene, gestern nacht hast du mir eine Frage gestellt – du wolltest wissen, warum du diesen Mann liebst.« Sie deutete auf Leo. »Die Antwort darauf wäre einfach, denn ist er nicht ein Mann, dem eine Frau wie du in Leidenschaft verfallen kann? Aber du hast auch gesagt, daß dein Herz und die Weisheit jenes Magiers, deines Onkels, dir verraten haben, daß du ihn von Anbeginn, seit deine Seele zum Leben erweckt wurde, geliebt hast, und deshalb hast du mich, bei den Mächten, denen ich Rechenschaft schuldig bin, beschworen, den Schleier von der Vergangenheit zu ziehen und dich die Wahrheit sehen zu lassen.
Frau, die Stunde ist gekommen, und ich folge deinem Verlangen – nicht, weil du es so willst, sondern weil ich selbst es will. Von den Anfängen kann ich dir nichts sagen, da auch ich nur ein Mensch bin und keine Göttin. Ich weiß nicht, warum wir drei vom Schicksal miteinander verstrickt wurden; ich kenne nicht die Bestimmung, zu der wir die Leiter von tausend Leben emporsteigen, oder, falls ich es wüßte, so dürfte ich es nicht sagen. Deshalb will ich dort beginnen, wo meine eigenen Erinnerungen Licht in das Dunkel werfen.«
Die Hesea machte eine Pause, und wir sahen, daß ihr Körper zitterte, als ob sie sich nur mit äußerster Willenskraft aufrechthalten könne. »Blickt jetzt
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