Ayesha - Sie kehrt zurück
Leidenschaften verblassen, in tiefer Freundschaft auf immer zusammen sein, du und ich allein.«
»Denn du wirst mich nicht zurückstoßen; dein Stahl, der in der Esse reiner Wahrheit und Kraft gehärtet worden ist, wird in der kleinen Flamme der Versuchung nicht schmelzen und zu einer rostigen Kette werden, die dich an den Busen einer anderen Frau bindet.«
»Ayesha, ich danke dir für deine Worte«, antwortete ich, »und durch sie und durch dein Versprechen werde ich, dein armer Freund – denn für etwas anderes habe ich mich nie gehalten –, für alle Leiden tausendfach entschädigt. Dies will ich noch sagen: ich bin überzeugt, daß du Sie bist, die wir verloren haben, denn welche Lippen die Worte auch formen mögen, die Gedanken sind die Ayeshas, und ihre allein.«
So sprach ich, da ich nicht wußte, was ich sonst hätte sagen sollen, denn ich war von großer Freude erfüllt, von einer tiefen, stillen Befriedigung, der ich mit diesen armseligen Worten Ausdruck zu geben versuchte. Nun wußte ich, daß ich Ayesha lieb und teuer war, so wie ich Leo stets lieb und teuer gewesen bin, daß ich ihr so nahe stand wie kein anderer Mensch. Was konnte ich mehr verlangen?
Wir traten ein paar Schritte zurück und sprachen leise miteinander, während alle anderen uns schweigend ansahen. Was wir gesprochen haben, weiß ich nicht mehr, doch am Ende bat mich Leo das gleiche, was die Hesea von ihm gefordert hatte: daß ich die Entscheidung treffen sollte. In diesem Augenblick hörte ich einen klaren, deutlichen Befehl, ob er von meinem Gewissen kam oder von woanders, wer kann das sagen? Dies war der Befehl: daß ich sie anweisen sollte, die Schleier abzulegen, damit das Schicksal seinen Lauf nähme.
»Entscheide, Horace«, sagte Leo. »Ich kann es nicht länger ertragen. Wie diese Frau – wer immer sie sein mag – es mir versprach, so werde auch ich dir keinen Vorwurf machen, ganz egal, was geschehen mag.«
»Gut«, antwortete ich, »ich habe entschieden.« Damit trat ich vor den Thron und sagte: »Wir haben uns beraten, Hes, und es ist unser Wille, die Wahrheit zu erfahren, damit wir Ruhe finden. Leg die Schleier ab, hier und jetzt, vor unseren Augen!«
»Ich höre und gehorche«, antwortete die Priesterin mit einer Stimme, die wie die einer Sterbenden klang. »Doch ich flehe euch beide an, Mitleid mit mir zu haben und mich nicht zu verhöhnen; werft nicht die Kohlen eures Hasses in das Feuer einer Seele in der Hölle, denn was immer ich sein mag, ich bin deinetwegen so geworden, Kallikrates. Doch auch mich dürstet nach Wissen; denn obwohl ich mit aller Weisheit vertraut bin, obwohl ich große Macht besitze, eines habe ich noch zu lernen: Was die Liebe eines Mannes wert ist, und ob sie über die Schrecken des Grabes hinausgeht.«
Mit diesen Worten erhob sich die Hesea und ging, oder wankte, besser gesagt, zum offenen Teil der Felsenkammer, wo sie hart am Rand stehen blieb, unter sich den brodelnden Kessel des Vulkans.
»Komm zu mir, Papave, und löse meine Schleier!« sagte sie mit hoher, dünner Stimme.
Papave trat auf sie zu und begann zögernd, dem Befehl ihrer Herrin nachzukommen. Sie war nicht sehr groß, doch neben der Hesea wirkte sie wie eine Riesin.
Die äußere Hülle fiel und legte andere frei. Als auch diese zu Boden glitten, stand vor uns die mumienhafte Gestalt, die uns in der Senke der Knochen erwartet hatte, doch erschien sie uns jetzt weitaus kleiner als damals. Also war die Priesterin Hes selbst unser geheimnisvoller Führer gewesen.
Gebannt starrten wir sie an, als die langen Binden von ihrem Körper gewickelt wurden. Nahmen sie denn nie ein Ende? Wie klein die Gestalt wurde, die unter ihnen verborgen war, unnatürlich klein für eine erwachsene Frau. Und – oh! – mein Herz krampfte sich zusammen, als die letzten Binden fielen. Zwei faltige, krallenartige Hände erschienen – falls man sie noch Hände nennen konnte. Dann die Füße ... Ich hatte in Ägypten die Mumie einer Prinzessin gesehen, und jetzt erinnerte ich mich daran, daß auf dem Sarg ihr Name eingraviert war; sie hieß ›die Schöne‹.
Dann waren alle Hüllen gefallen, bis auf ein seidenes Untergewand und einen letzten Schleier, der den Kopf verhüllte. Hes winkte der Priesterin Papave, beiseite zu treten. Die junge Frau sank halb ohnmächtig zu Boden und blieb dort liegen, eine Hand vor ihre Augen gepreßt.
Die Hesea stieß einen leisen Schrei aus, packte den Schleier mit ihrer Krallenhand und riß ihn vom Kopf. Dann
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