Ayesha - Sie kehrt zurück
wandte sie sich mit einer Geste tiefster Verzweiflung um und blickte uns an.
Oh! Sie war ... Nein, ich kann und will sie nicht beschreiben. Doch erkannte ich sie sofort wieder, denn so hatte ich sie zuletzt vor dem Feuer des Lebens gesehen, und seltsamerweise schimmerte selbst durch diese Maske unvorstellbaren Alters, durch dieses Zerrbild körperlichen Verfalls, noch eine Erinnerung an die Schönheit und Übermenschlichkeit Ayeshas: die Form ihres Gesichts, der Ausdruck trotzigen Stolzes, der sie aufrechthielt – ich kann nicht sagen, was es war.
Ja, dort stand sie, und das grelle Licht der Vulkanfeuer enthüllte jedes schmachvolle Detail körperlicher Hinfälligkeit.
Es war totenstill. Ich sah, wie Leos Gesicht bleich wurde, daß seine Lippen zitterten und seine Knie nachzugeben drohten; doch er riß sich zusammen und stand aufrecht, wie ein Toter, der von einem Draht gehalten wird. Ich blickte Atene an, die jetzt – was ich ihr immer zugute halten werde – den Kopf abwandte. Sie hatte ihre Rivalin erniedrigen wollen, doch dieser grauenvolle Anblick entsetzte sie, und irgendein Gefühl gemeinsamer Weiblichkeit weckte ihr Mitgefühl. Nur Simbri, der, wie ich annehme, gewußt hatte, was uns erwartete, schien völlig ungerührt, genau wie Oros, der nun als erster das drückende Schweigen brach.
»Was bedeutet es schon, wenn das sterbliche Gefäß im Grab der Zeit verrottet ist? Was bedeutet es schon, wenn das Fleisch verdirbt?« sagte er. »Blickt durch die zerstörte Lampe auf das ewige Licht, das in ihr brennt. Blickt durch die zerfallende Hülle auf die unauslöschliche Seele.«
Mein Herz applaudierte dem vornehmen Gedanken. Ich war mit Oros völlig einer Meinung, aber mein Gott! Ich hatte das Gefühl, daß mein Gehirn sich auflöste, und ich wünschte, daß es sich auflösen würde, damit ich diesen entsetzlichen Anblick nicht länger zu ertragen brauchte.
Dieser Leidensausdruck auf dem Mumiengesicht Ayeshas! Anfangs hatte ich dort noch einen kleinen Hoffnungsschimmer erkannt, doch die Hoffnung war gestorben, und unvorstellbares Leid war an ihre Stelle getreten.
Irgend etwas mußte geschehen, dies konnte nicht endlos so weitergehen! Doch meine Lippen schienen aufeinander zu kleben, und meine Füße versagten mir den Dienst.
Um meine Gedanken abzulenken, betrachtete ich die Szenerie. Wie wunderbar war die Flammenwand am gegenüberliegenden Rand des Kraters, über welche tanzende Wellen liefen. Wie gut mußte es sein, dort unten in dem Feuersee zu liegen, neben dem toten Rassen. Oh, wie ich mich danach sehnte, sein warmes Bett mit ihm zu teilen, damit diese Agonie endlich vorüber war.
Gott sei Dank begann jetzt Atene zu sprechen. Sie war an die Seite dieser kahlköpfigen Mumie getreten und stand neben ihr im strahlenden Glanz ihrer vollkommenen Schönheit und Weiblichkeit.
»Leo Vincey, oder Kallikrates«, sagte Atene, »nimm, welche du willst! Du magst mich für schlecht halten, doch werde ich mich nicht soweit erniedrigen, eine Rivalin im Augenblick ihrer größten Schmach zu verhöhnen. Sie hat uns eine unglaubliche Geschichte erzählt, eine Geschichte – die wahr oder falsch sein mag, doch eher falsch als wahr, glaube ich –, nach der ich einer Göttin einen Priester geraubt hätte, und daß diese Göttin – Ayesha selbst vielleicht – sich an mir für das Verbrechen rächte, dem Mann zu gehören, den ich liebte. Nun, sollen die Göttinnen – falls es Göttinnen geben sollte – den Hilflosen auf ihre Weise ihren Willen aufzwingen, ich, eine Sterbliche, werde meinen Weg gehen, bis die Kralle des Todes meine Kehle umklammert und mein Leben und meine Erinnerungen erstickt.
Bis dahin, du Mann, und ich schäme mich nicht, es vor all diesen Zeugen zu gestehen, werde ich dich lieben. Doch es scheint, als ob diese ... diese Frau oder Göttin dich auch liebt, und sie hat uns gesagt, daß du dich jetzt – jetzt! – für immer für eine von uns entscheiden mußt. Sie hat uns auch gesagt, daß, wenn ich gegen Isis gesündigt habe, deren Priesterin sie zu sein behauptet, sie selbst noch größere Schuld auf sich geladen habe. Denn sie wollte dich sowohl ihrer himmlischen Herrin, als auch deiner irdischen Braut stehlen und sich dennoch die versprochene Gnade der Unsterblichkeit nehmen, wie sie es auch getan hat. Deshalb sage ich: wenn ich schlecht bin, so ist sie noch schlechter.
Wähle also, Leo Vincey, damit allem ein Ende gesetzt wird. Ich will mich nicht anpreisen; du weißt, was ich gewesen
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