Ayesha - Sie kehrt zurück
unaufhörlicher Blitze beleuchtet wurde, die aus den dunklen Wolken herabzuckten.
Es war so, wie sie es mir vorausgesagt hatte. Es war, als ob sich die Hölle über der Erde geöffnet hätte, doch diese Hölle ließ uns unberührt. Denn diese Anschläge der Naturgewalten gingen an uns vorbei oder über uns hinweg. Doch aus den Reihen der Feinde flog kein Speer mehr und kein Pfeil. Die Geschosse des Hagels waren unsere Vorhut, die Blitze, die Mensch und Tier zu Boden schmetterten, unsere Schwerter und Speere; und ständig heulte und brüllte der Orkan mit einer Million verschiedener Stimmen, die sich zu einem ohrenbetäubenden, unbeschreiblich grausamen Schrei vereinigten.
Und vor diesem Anschlag der Elemente zerschmolz das Meer der Feinde um uns und war verschwunden.
Jetzt war es so dunkel wie in einer mondlosen Nacht; doch in dem grellen Licht der Blitze sah ich sie nach allen Seiten fliehen, und durch das Heulen und Donnern elementarer Stimmen hörte ich ihre Angst- und Entsetzensschreie. Ich sah Männer und Pferde völlig verwirrt am Boden rollen; Fußsoldaten wurden von dem unvorstellbaren Orkan zu Haufen zusamengeweht wie welke Blätter vom Herbstwind, und immer wieder fuhren die Feuerlanzen des Himmels hernieder, bis alle zusammensanken und still lagen.
Ich sah, wie sich die Bäume unter der Gewalt des Sturms zu Boden neigten, zerfetzt wurden und verschwanden. Ich sah die dicken Mauern Kaloons einbrechen und schwere Blöcke ihrer Trümmer durch die Luft wirbeln, während die Häuser innerhalb der Mauern in Flammen aufgingen, die von den Wassermassen des sturmgepeitschten Regens sofort gelöscht wurden, jedoch sofort neu ausbrachen. Ich sah die Dunkelheit mit großen schwarzen Schwingen über uns hinwegziehen, und als ich genauer hinblickte, entdeckte ich, daß diese Flügel Flammen waren, Fluten pulsierender Flammen, die durch die sturmgepeitschte Luft flogen.
Dunkelheit, tiefste Dunkelheit; Zerstörung, Tod, Schrecken! Unter mir das keuchende Pferd; neben mir das sanfte Leuchten auf Ayeshas Stirn, und durch den Tumult hörte ich ihre klare, triumphierende Stimme rufen: »Ich habe dir ein wildes Wetter versprochen! Jetzt, mein Holly, glaubst du mir, daß ich die gefesselten Kräfte der Natur freisetzen kann?«
Plötzlich war alles vorüber und vorbei. Über uns stand der klare Abendhimmel und vor uns lag die menschenleere, verlassene Brücke, dahinter die brennende Stadt Kaloon. Wo waren die Armeen Atenes? Geh und frag die riesigen Steinhaufen, unter denen ihre Knochen liegen! Frag nach ihnen, in diesem Land der Witwen!
Von unserer Schar wilder Reiter war jedoch nicht einer gefallen. Sie folgten uns, während wir auf die Brücke zugaloppierten, mit zusammengepreßten Zähnen und bleichen Lippen, wie Männer, die dem Tod Angesicht zu Angesicht gegenübergestanden und ihn besiegt hatten.
An der höchsten Stelle der Bogenbrücke zügelte Ayesha ihr Pferd und blickte ihnen entgegen, um sie in der eroberten Stadt willkommen zu heißen. Beim Anblick ihres überirdisch schönen, von der leuchtenden Stirn gekrönten Gesichts, das ihre Stammeskrieger jetzt zum ersten Mal unverhüllt sahen, erhob sich ein Jubelruf, wie ihn Menschen nur selten gehört haben.
»Die Göttin!« dröhnte der Schrei. »Betet die Göttin an!«
Ayesha wandte ihr Pferd wieder und spornte es an, und sie folgten ihr durch die lange, gerade Hauptstraße der brennenden Stadt zum Palast, der sich auf dem höchsten Punkt der Stadt-Insel erhob.
Als die Sonne versank, sprengten wir durch sein Tor. Stille im Schloßhof, Stille überall – außer dem entfernten Prasseln der Feuer und dem angsterfüllten Heulen der Hunde des Todes in ihren Zwingern.
Ayesha sprang von ihrem Pferd, und nachdem sie alle anderen, außer Oros und mir, zurückgewinkt hatte, stürmte sie durch die offene Tür und die Säle und Hallen des Schlosses.
Sie waren leer – alle Menschen waren geflohen oder tot. Doch Ayesha kannte kein Zögern oder Zweifeln, und sie schien ihr Ziel genau zu kennen. So rasch lief sie durch den Palast, daß wir ihr kaum zu folgen vermochten, und stürmte schließlich die Treppe hinauf, die in den höchsten der Türme führte. Weiter, immer höher hinauf, bis wir die Tür des Raums erreichten, in dem Simbri, der Schamane, wohnte, desselben Gemachs, in dem Atene uns mit dem Tod bedroht hatte.
Die Tür war verschlossen und verriegelt. Doch vor Ayeshas Gegenwart, ja allein vor dem Atem ihrer Gegenwart, zersprangen die Riegel wie dürre
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