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Ayesha - Sie kehrt zurück

Ayesha - Sie kehrt zurück

Titel: Ayesha - Sie kehrt zurück Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Henry Rider Haggard
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war alt, und meine Zeit war abgelaufen. Ich hatte ein Leben in Unschuld gelebt, falls man es Unschuld nennen kann, dieser wunderbaren Frau zu folgen, dieser Sirene der Höhlen, die uns in unser Verderben gelockt hatte.
    Nein, ich glaube nicht, daß ich damals an mich gedacht habe; doch ich dachte viel an Leo, und als ich seinen entschlossenen Gesichtsausdruck sah, den harten Glanz seiner Augen, war ich stolz auf ihn. Ich segnete ihn mit versagender Stimme, wünschte ihm Glück während aller Äonen und betete, daß ich bis zum Ende der Zeit sein Begleiter sein möge. Er dankte mir mit wenigen, kurzen Worten und murmelte dann: »Komm!«
    Seite an Seite begannen wir den entsetzlichen Abstieg ins Unbekannte. Anfangs erwies er sich als nicht besonders schwierig, obwohl jedes Abgleiten uns in den Abgrund geschleudert haben würde. Doch wir waren kräftig und geschickt und an solche Situationen gewöhnt und begingen keine Fehler. Als wir etwa ein Viertel des Gletschers hinter uns gebracht hatten, machten wir eine kleine Pause. Wir standen auf einem großen Felsblock, der in die Oberfläche des Eises eingebettet war, und blickten vorsichtig in die Tiefe. Die Schlucht war grauenvoll, mit steilen Wänden, und auch von hier aus konnten wir nicht erkennen, wie es dort unten aussah, denn unter uns, etwa hundertzwanzig Fuß tiefer, begann die Biegung der langen Eiszunge, auf der wir standen, und verwehrte uns die Sicht auf den Grund der Schlucht.
    Da wir das Gefühl hatten, daß unsere Nerven ein weiteres Nachdenken über das unerkennbare Dunkel nicht mehr ertragen würden, ließen wir uns wieder auf Hände und Knie nieder und setzten unseren Abstieg fort. Jetzt war er bedeutend schwieriger, denn in dem unteren Teil des Gletschers wurden die im Eis eingefrorenen Steine seltener, und zwei- oder dreimal mußten wir ein Stück über das abschüssige Eis gleiten, um sie zu erreichen, ohne zu wissen, ob sie uns rechtzeitig aufhalten würden. Doch wir hatten die Seile an den Felsen befestigt, die Ausgangspunkt unserer Rutschpartie waren, und zogen sie nach uns ein, wenn wir den nächsten Festpunkt erreicht hatten.
    Auf diese Weise erreichten wir schließlich die Biegung, die sich etwa auf halber Höhe des Gletschers befand, eher noch etwas darunter, soweit ich das feststellen konnte, und etwa hundertfünfzig Fuß über dem dunklen Boden der Schlucht. Hier gab es keine eingebetteten Steine mehr, sondern nur ein paar Stellen, an denen das Eis etwas rauh war, und an so einer Stelle setzten wir uns und ruhten uns aus.
    »Wir müssen sehen, wie es weitergeht«, sagte Leo plötzlich.
    Ich nickte. Die Frage war nur, wie wir das anstellen sollten. Es gab nur einen einzigen Weg: einer von uns mußte sich über die Biegung hängen lassen und sehen, wie es unterhalb von ihr aussah. Wir lasen die Gedanken des anderen, da wir nach so langem Zusammensein kaum noch Worte brauchten, und ich stemmte mich hoch.
    »Nein.« Leo hielt mich zurück. »Ich bin jünger und kräftiger als du. Komm, hilf mir!« Er begann, das Ende seines Seils an einem starken, hervorstehenden Eisstück zu befestigen. »Jetzt halte mich an den Füßen fest!«
    Es war Wahnsinn, doch es war die einzige Möglichkeit. Ich klammerte mich mit Füßen und Knien an Unebenheiten des Eises fest, packte Leos Beine und ließ ihn vorsichtig tiefer gleiten, bis er bis zur Mitte um die Biegung verschwunden war. Was er dort sah, brauche ich jetzt nicht zu beschreiben, da ich es später selbst sehen sollte, doch plötzlich schien er den Halt zu verlieren, und sein ganzes Gewicht hängte sich mit einem so starken Ruck an meine Arme, daß seine Knöchel mir aus den Händen gerissen wurden.
    Vielleicht war es auch der Schock, der mich loslassen ließ, ein natürlicher Impuls, der einen Mann dazu zwingt, zuerst an die Rettung des eigenen Lebens zu denken. Wenn es so gewesen sein sollte, möge man mir diese Schwäche vergeben, doch wenn ich festgehalten hätte, wäre ich unzweifelhaft von ihm mit in den Abgrund gerissen worden.
    Das Seil lief ab und sang wie eine zu straff gespannte Saite, aber es hielt.
    »Leo?« schrie ich, »Leo?!« Und dann hörte ich eine leise Stimme etwas sagen, das ich als »Komm!« verstand. In Wirklichkeit aber hatte er gerufen: »Komme nicht!« Doch ich nahm mir nicht die Zeit – und das mag man mir zugute halten –, lang über seine Worte nachzudenken. Ohne mich umzudrehen und mit dem Gesicht zum Eis zu klettern, so wie ich saß, begann ich über das Eis hinabzukrebsen

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