Ayesha - Sie kehrt zurück
Ich kannte das aus früheren Jahren, wenn ein Tiger in der Nähe unseres Lagerfeuers brüllte. Sie liefen, als ob wir sie frisch aus ihrem Stall geholt hätten, und sie wurden auch nicht langsamer, bis wir vier Meilen oder mehr hinter uns gebracht hatten und uns in unmittelbarer Nähe des Flusses befinden mußten, denn wir konnten das Rauschen seines Wassers hören.
Dann waren ihre Kräfte endgültig verbraucht und die Meute kam rasch näher. Wir kamen an einem dichten Gebüsch vorbei, und als wir es ein paar hundert Meter hinter uns gelassen hatten und ich merkte, daß unsere Pferde unmittelbar vor dem Zusammenbrechen standen, rief ich Leo zu: »Wir reiten im Bogen zu dem Gebüsch zurück und verstecken uns dort.«
Wir ritten zurück, und kaum hatten wir das Gebüsch erreicht und waren abgestiegen, da jagten auch schon die Hunde an uns vorbei. Ja, in einem Abstand von knapp fünfzig Metern kamen sie an unserem Versteck vorbei, unserer Spur nach, doch ihre Musik war verstummt, sie waren zu erschöpft, um ihren Atem dafür zu verschwenden.
»Lauf!« rief ich Leo zu, sobald sie vorüber waren. »Sie werden unsere Spur verfolgen und sofort hier sein.« Wir liefen nach rechts, um nicht die Spur zu kreuzen, die unsere Pferde hinterlassen hatten.
Etwa hundert Meter entfernt befand sich ein hoher Felsen, und wir konnten ihn erreichen, bevor die Hunde unserer Spur folgend zum Gebüsch zurückliefen und uns deshalb nicht sahen. Hinter dem Felsen verbargen wir uns, bis die Meute hinter einem Gebüsch außer Sicht kam, dann liefen wir weiter, so rasch wir konnten. Als ich einen Blick zurückwarf, sah ich unsere Pferde über die Ebene galoppieren. Sie waren völlig verbraucht, doch von unserem Gewicht befreit und von Angst getrieben, konnten sie noch galoppieren und vor den Hunden fliehen, die ihnen nachhetzten. Aber wir wußten, daß sie es nicht lange durchhalten konnten. Ich sah, wie der Khan, der ahnte, daß wir in unserer Verzweiflung die Pferde geopfert hatten, seine Hunde zurückzurufen versuchte, doch ohne Erfolg. Sie wollten die Beute, die ihnen sicher war, nicht aufgeben.
All dies sah ich in der knappen Sekunde, in der ich beim Laufen zurückblickte, und ich erinnere mich noch an jede Einzelheit dieses Bildes: an den mächtigen, schneebedeckten Berg, über dem eine glühende Rauchwolke stand, und der seinen Schatten meilenweit auf die Ebene warf; die weite Fläche mit ihren einzelnen Felsen und Gebüschen; die todgeweihten Pferde, die mit unsicheren Galoppsprüngen über sie hinwegrasten; die Meute der Hunde, die sie hetzte, und zwischen ihnen, klein und verloren auf der riesigen Fläche, die Gestalt des Khans auf seinem Pferd, dessen Flanken mit weißem Schaum bedeckt waren. Darüber wölbte sich der dunkle, samtmatte Himmel, an dem der Mond hing, dessen Licht so hell war, das man jedes kleinste Detail genau erkennen konnte.
Jugend und Mannesalter lagen nun schon lange hinter mir, und obwohl ich für mein Alter sehr kräftig war, konnte ich doch nicht mehr so laufen wie früher. Außerdem war ich ziemlich erschöpft, und meine Beine schmerzten von dem langen Ritt, deshalb kam ich nur langsam voran. Und um es noch schlimmer zu machen, stieß ich mit meinem linken Fuß gegen einen Stein, was mir ziemliche Schmerzen verursachte. Ich beschwor Leo, weiterzulaufen und mich zurückzulassen; wir liefen auf den Fluß zu, da wir glaubten, daß sich unsere Spur im Wasser verlieren würde. Just in diesem Augenblick hörte ich das tiefe Bellen des Leithundes ›Lord‹ und wartete auf das nächste. Ja, er kam uns rasch näher. Der Khan hatte seine Angel ausgeworfen und uns gefunden. Über kurz oder lang würden wir vor der Entscheidung stehen.
»Lauf! Lauf!« drängte ich Leo. »Ich kann sie vielleicht für ein paar Minuten aufhalten, und du hast eine Chance. Es ist dein Unternehmen, nicht das meine. Ayesha wartet auf dich, nicht auf mich, und ich habe das Leben satt. Ich bin müde und möchte sterben.«
So rief ich keuchend, nicht in zusammenhängenden Sätzen, sondern in mühsam hervorgestoßenen Worten, als ich an Leos Arm geklammert vorwärtsstolperte. Doch er antwortete nur: »Sei still, sie könnten dich hören«, und zog mich weiter vorwärts.
Wir waren jetzt ganz in der Nähe des Wassers, denn ich konnte es ein Stück unterhalb von uns im Mondlicht schimmern sehen, und – oh! – wie ich mich nach einem Schluck kühlen Wassers sehnte! Ich erinnere mich, daß dies der vorherrschende Gedanke in meinem Gehirn war:
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