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Ayesha - Sie kehrt zurück

Ayesha - Sie kehrt zurück

Titel: Ayesha - Sie kehrt zurück Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Henry Rider Haggard
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Häusern, die an der Felswand errichtet worden waren. Vor diesen Häusern, im hellen Mondlicht, waren mehrere hundert Männer und Frauen versammelt, die im Halbkreis Aufstellung genommen hatten und an irgendeinem Ritus teilzunehmen schienen.
    Es war ein wilder, unheimlicher Ritus, erkannte ich kurz darauf. Vor ihnen, im Mittelpunkt des Halbkreises, stand ein riesiger, rotbärtiger Mann, der bis auf einen schmalen Fellgürtel völlig nackt war. Die Hände in die Hüften gestemmt schwang er seinen Körper vor und zurück und schrie etwas wie »Ho! – Haha! – Ho!« Wenn sein Körper sich den im Halbkreis versammelten Männern und Frauen zuneigte, verneigten die sich vor ihm, und jedesmal, wenn er sich aufrichtete, wiederholten sie sein letztes ›Ho!‹ mit einer Lautstärke, die den Fels erzittern ließ. Und dies war noch nicht alles. Auf dem Kopf des rotbärtigen Riesen hockte eine große weiße Katze mit gesträubtem Fell und nervös peitschendem Schwanz.
    Etwas Seltsameres und Phantastischeres als diese Szene in der vom Mondlicht erleuchteten, seltsamen Arena hatte ich noch nie gesehen. Die rothaarigen, halbnackten Männer und Frauen, der hünenhafte Priester, die geheimnisvolle weiße Katze, die ihre Krallen in die Kopfhaut des Priesters geschlagen hatte, mit ihrem Schwanz peitschte und auf irgendeine Weise Teil der Zeremonie zu sein schien, der unheilige Singsang des Priesters und der Chor seiner Gemeinde vereinigten sich zu einem unglaublichen, unheimlichen Szenarium. Dieser Eindruck wurde noch verstärkt durch den Umstand, daß wir zu der Zeit Sinn und Zweck dieses Ritus nicht einmal ahnen konnten, obwohl wir den Eindruck gewannen, daß es sich um die Vorbereitung einer Opferung handeln mußte. Es war wie das Fragment eines Alptraums, an das sich das erwachende Bewußtsein erinnert, eine verrückte, sinnlose Realität.
    Um die offene Fläche, auf der diese Wilden ihre Feier abhielten, verlief eine Mauer aus unbehauenen Steinen, die etwa sechs Fuß hoch war und von einer Toröffnung durchbrochen war. Auf diese Öffnung hielten wir zu, ohne von den Wilden bemerkt zu werden, denn auf unserer Seite der Mauer befand sich ein dichter Bestand von Krüppelkiefern. In diesen Hain führte uns die mumienartige Kreatur, und als wir zwischen den Bäumen waren, wenige Meter vom Tor entfernt, bedeutete sie uns durch Zeichen, hier zu warten.
    Dann trat sie an eine Stelle, wo die Mauer etwas niedriger war und stand dort, als ob sie die Szene, die sich auf der anderen Seite abspielte, kritisch betrachtete. Ich hatte in der Tat den Eindruck, als ob diese Vorgänge für sie neu oder unerwartet wären und sie verblüfften oder verärgerten. Dann schien sie zu einem Entschluß gekommen zu sein. Sie machte uns ein Zeichen, an Ort und Stelle zu bleiben, legte dann ihre umwickelte Hand mit der Innenkante an die Gesichtsmaske, um uns zu sagen, daß wir uns ruhig verhalten sollten, und im nächsten Augenblick war sie verschwunden. Wie sie fortging, oder wohin, kann ich nicht sagen. Ich weiß nur, daß sie plötzlich nicht mehr vor uns stand.
    »Was sollen wir jetzt tun?« flüsterte Leo mir zu.
    »Hier bleiben, bis sie zurückkommt oder bis etwas geschieht«, sagte ich.
    Da wir nichts anderes tun konnten, blieben wir also und hofften, daß das Pferd nicht wiehern und unsere Anwesenheit verraten, oder wir nicht auf irgendeine andere Weise entdeckt würden. Sehr bald vergaßen wir jedoch die Sorge um unsere eigene Lage über dem Studium der wilden Szene, die sich vor unseren Augen abspielte und jetzt eine neue, dramatische Wendung nahm.
    Es schien, als ob alles, was ich bisher beschrieben habe, lediglich ein Vorspiel des eigentlichen Dramas war, und daß dieses Drama einen Prozeß darstellte, bei dem mehrere Menschen um ihr Leben bangen mußten. Der Singsang brach ab, die Menge vor dem Priester wich nach beiden Seiten zurück, und hinter ihm stieg eine Rauchwolke empor.
    An die Stelle, die von der nach beiden Seiten zurückgewichenen Menge freigemacht worden war, wurden jetzt sieben Menschen geführt, denen die Hände auf den Rücken gefesselt worden waren. Es waren Männer und Frauen, unter ihnen ein alter Mann und eine junge Frau, die groß und schlank war und noch sehr mädchenhaft wirkte. Die sieben wurden nebeneinander aufgereiht und zitterten vor Angst. Der alte Mann fiel auf die Knie, und eine der Frauen begann zu schluchzen. Eine kurze Weile geschah nichts, wahrscheinlich, um dem Feuer Zeit zu lassen, sich voll zu entfachen.

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