Ayesha - Sie kehrt zurück
deine Wunde jetzt aussieht? Der Arm ist völlig abgeschwollen. Jetzt werde ich ihn bandagieren, und in wenigen Wochen ist der Knochen wieder so, wie er vor eurem Zusammenstoß mit Khan Rassen und seiner Meute war. Übrigens wirst du ihn bald wiedersehen, ihn und seine schöne Frau.«
»Ihn wiedersehen? Erwachen die Toten auf diesem Berg denn wieder zum Leben?«
»Nein, aber einige Tote werden zur Beerdigung hierhergebracht. Es ist das Privileg der Herrscher von Kaloon; und ich glaube, daß die Khania auch dem Orakel ein paar Fragen stellen möchte.«
»Wer ist dieses Orakel?« fragte ich eifrig.
»Das Orakel«, sagte er ernst, »ist eine Stimme. So war es schon immer, nicht wahr?«
»Ja, das habe ich von Atene erfahren, doch eine Stimme braucht einen Sprecher. Ist der Sprecher jene, die du die Mutter nennst?«
»Vielleicht, Freund Holly.«
»Und ist diese Mutter ein Geist?«
»Das ist eine Frage, die viel diskutiert wird. Man hat es dir so auf der Ebene gesagt, nicht wahr? Die Bergstämme glauben es ebenfalls. Es scheint auch eine vernünftige Erklärung zu sein, da wir anderen, die hier leben, aus Fleisch und Blut sind. Doch du wirst dir bald deine eigene Meinung bilden können, und dann wollen wir uns darüber unterhalten. So, dein Arm ist fertig bandagiert. Du mußt dich jetzt nur vorsehen, daß du nicht irgendwo anstößt oder fällst. Und sieh, dein Freund wacht auf.«
Eine gute Stunde später setzten wir unsere Reise fort. Ich saß wieder auf dem Pferd des Khans, das gestriegelt und gebürstet worden war und ausgeruht wirkte. Leo hatte man eine Sänfte angeboten, die er jedoch zurückgewiesen hatte. Er sei jetzt wieder völlig bei Kräften, erklärte er, und würde sich nicht tragen lassen wie eine Frau. Also ging er an der Seite meines Pferdes und stützte sich auf den Speerschaft. Wir kamen an der Feuergrube vorbei, die jetzt mit weißer, ausgebrannter Asche gefüllt war, darunter die Asche des Hexen-Meisters und seiner widerlichen Katze. Wieder wurden wir von der Mumiengestalt geführt, bei deren Anblick die Stammesangehörigen, die wieder in ihr Dorf zurückgekehrt waren, sich zu Boden warfen und so liegenblieben, bis sie vorbei war.
Eine der Frauen erhob sich jedoch sofort wieder, brach durch unsere Priester-Eskorte, lief auf Leo zu, kniete sich vor ihm nieder und küßte seine Hand. Es war die junge Frau, die er vor den Flammen gerettet hatte, ein sehr hübsches Ding mit flammendrotem Haar, und bei ihr war ihr Ehemann, dessen Arme noch die Spuren der Fessel zeigten. Die Mumien-Kreatur, die uns voranschritt, schien diesen Vorfall zu bemerken, obgleich ich mir nicht vorstellen kann, auf welche Weise. Jedenfalls blieb sie stehen, wandte sich um und machte ein Zeichen, das der Priester interpretierte.
Er rief die junge Frau zu sich und fragte sie streng, wie sie dazu komme, die Hand der Fremden mit ihren unreinen Lippen zu berühren. Sie antwortete ihm, daß sie es aus der Dankbarkeit ihres Herzens getan habe. Oros erklärte, daß man ihr deshalb vergeben würde. Außerdem sei ihm befohlen worden, ihren Ehemann, in Wiedergutmachung dessen, was sie beide erlitten hätten, zum Häuptling des Stammes zu machen. Er ermahnte alle anderen, dem neuen Häuptling zu gehorchen, doch jeden Verstoß seinerseits gegen Bräuche und Gesetze zu melden, damit er dafür zur Verantwortung gezogen werden könne. Dann winkte er das Paar zur Seite, und ging, ohne sich um ihren Dank oder den Beifall der Menge zu kümmern, weiter.
Als wir am oberen Ende der Schlucht vorüberkamen, durch die wir am Vortag heraufgekommen waren, hörten wir einen getragenen, feierlichen Gesang. Hinter einer Wegbiegung wurde uns der Blick in die tiefe, düstere Schlucht freigegeben, und wir sahen eine feierliche Prozession auf uns zukommen. An ihrer Spitze ritt die Khania, gefolgt von ihrem Großonkel, dem alten Schamanen, und nach ihnen kam eine Gruppe von sieben Priestern in weißen Roben, die eine Bahre trugen, auf der in eine schwarze Robe gekleidet, die Leiche Khan Rassens lag. Im Tod wirkte sein Gesicht edler, als es je zu seinen Lebzeiten ausgesehen hatte, denn der Tod hatte ihm die Würde verliehen, die es im Leben nie besessen hatte.
So stießen wir am Ende der Schlucht aufeinander. Beim Anblick der mumienhaften Gestalt bäumte sich das Pferd der Khania auf, und ein schlechter Reiter wäre mit Sicherheit aus dem Sattel gefallen. Doch Atene zwang das Tier mit Peitsche und Stimme zur Räson und rief: »Wer ist diese verhängte
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