Ayesha - Sie kehrt zurück
Berghexe, die es wagt, sich in den Weg der Khania Atene und ihres toten Herrn zu stellen? Meine Gäste, ich finde euch in schlechter Gesellschaft wieder, und es scheint mir, als ob ihr von einem bösen Geist zu einem bösen Schicksal geführt würdet. Diese Kreatur muß ungewöhnlich häßlich und widerwärtig aussehen, denn wenn sie eine schöne Frau wäre, würde sie sich nicht scheuen, ihr Gesicht zu zeigen.«
Der alte Schamane zupfte seine Herrin am Ärmel, und der Priester Oros verbeugte sich vor ihr und beschwor sie, still zu sein und keine Worte von schlechten Omen mehr auszusprechen. Doch in Atene schien irgendein instinktiver Haß zu brodeln, denn sie dachte nicht daran, zu schweigen, sondern setzte ihre Tiraden fort.
»Wirf deine Fetzen ab, Hexe«, rief sie, »die nur für eine Leiche taugen, die zu widerlich ist, um sie ansehen zu können! Zeig uns, wer du bist, du Nachteule, die du glaubst, mich mit den Fetzen des Todes erschrecken zu können, die aber nur dazu gut sind, den Tod in dir zu verbergen.«
»Schweig, Lady! Ich bitte dich«, sagte Oros, der zum ersten Mal aus seiner unerschütterlichen Ruhe gerüttelt schien. »Sie ist der Richter, sie besitzt die Macht.«
»Aber nicht mehr als Atene, die Khania von Kaloon«, antwortete sie. »Macht! Soll sie mir doch beweisen, wie mächtig sie ist. Wenn sie tatsächlich Macht besitzen sollte, so ist es nicht ihre eigene, sondern die der Hexe dieses Berges, die so tut, als sei sie ein Geist und mir durch ihre Zauberkunst meine Gäste entführt hat« – sie deutete auf uns –, »und damit den Tod meines Mannes herbeiführte.«
»Sei still, Nichts!« sagte der alte Schamane, dessen faltiges Gesicht jetzt bleich vor Entsetzen war.
Oros hatte beide Arme erhoben, als ob er eine unsichtbare Macht anflehte, und sagte: »O du, die hört und sieht, sei barmherzig und vergib dieser Frau ihre wirren Reden, damit nicht das Blut eines Gastes die Hände deiner Diener beflecke.«
So betete er, doch obwohl er seine Hände erhoben hatte, kam es mir vor, als ob seine Augen auf die mumienhafte Gestalt gerichtet seien, genau wie die unseren. Während er sprach, hob sie eine Hand, auf dieselbe Weise wie gestern Nacht, als diese Geste den Hexen-Meister verurteilte. Dann schien sie nachzudenken, denn die Hand hielt mitten in der Bewegung inne, so daß sie auf die Khania wies. Sie bewegte sich nicht, sie sprach kein Wort, sie richtete nur ihre weiß umwickelte Hand auf die Khania, und die wütenden Worte erstarben auf Atenes Lippen, der Glanz des Hasses wich aus ihren Augen, und ihr Gesicht wurde bleich. Ja, sie wurde bleich und stumm, wie der Leichnam auf seiner Bahre. Dann gab sie ihrem Pferd einen harten Schlag mit der Reitgerte, so daß es ansprang und an uns vorbei auf das Dorf zugaloppierte, wo die Trauergesellschaft sich eine Weile ausruhen sollte.
Als der Schamane Simbri der Khania folgen wollte, ergriff der Priester Oros die Zügel seines Pferdes und sagte zu ihm: »Magier, wir haben uns schon einmal getroffen, als der Vater deiner Herrin zum Begräbnis auf den Berg gebracht wurde. Warne sie also und sage ihr, daß du etwas von der Wahrheit weißt, und von der Macht unserer Herrscherin, und daß es gut für sie sei keine so abfälligen Worte zu gebrauchen. Sag ihr, daß sie es nur ihrem Status als Botschafterin des Todes zu verdanken hat, wenn sie noch am Leben ist. Lebewohl. Morgen werden wir weitersprechen.« Oros gab dem Schamanen die Zügel frei und ging weiter.
Bald war die traurige Prozession hinter uns zurückgeblieben, und wir zogen den Berghang hinauf auf die Schneegrenze zu, die nur einige Meilen oberhalb von uns lag. Als wir durch eine Senke gingen, in der überhängende Kiefern fast alles Licht verdunkelten, vermißten wir plötzlich unsere Führerin.
»Ist sie zurückgegangen, um ... um die Khania zur Rechenschaft zu ziehen?« fragte ich Oros.
»Nein«, antwortete er mit einem leichten Lächeln. »Ich glaube, sie ist vorausgegangen, um die Ankunft von Heseas Gästen zu melden.«
»So?« Ich starrte den kahlen Hang hinauf, den nicht einmal eine Maus überqueren konnte, ohne gesehen zu werden. »Ich verstehe, sie ist vorausgegangen.« Damit war die Frage erledigt. Ich verstand jedoch nicht, wie sie vorausgegangen war. Doch da der Berghang von Höhlen und Galerien durchsetzt war, nahm ich an, daß sie in einer von ihnen verschwunden war.
Den ganzen Nachmittag über führte der Weg weiter bergan, immer näher auf die Schneegrenze zu, und während des
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