Azathoth - Vermischte Schriften
düstere Vision, die in den großen, blauen, blutunterlaufenen Augen brannte, die seit sechs Jahren für die Bilder der Welt verschlossen gewesen waren. Diese Augen waren in einer Ekstase klarsichtigen Grauens auf den Durchgang gerichtet, der in Simeon Tanners altes Arbeitszimmer führte, wo die Sonne auf Mauern brannte, die einst in eingemauerte Dunkelheit gehüllt waren. Und Dr. Morehouse wich schwindelnd zurück, als er erkannte, daß ungeachtet des blendenden Tageslichts die tintigen Pupillen dieser Augen so höhlenhaft erweitert waren wie die einer Katze im Dunkeln.
Der Arzt schloß die starrenden blinden Augen, ehe er gestattete, daß die anderen das Gesicht des Leichnams betrachteten. Unterdessen untersuchte er den leblosen Körper mit fiebrigem Eifer, wobei er sich - trotz seiner vibrierenden Nerven und seiner beinahe zitternden Hände - einer peniblen ärztlichen Sorgfalt befleißigte. Einige seiner Ergebnisse teilte er von Zeit zu Zeit den drei beeindruckten und neugierigen Männern, die um ihn herum standen, mit. Andere Ergebnisse hielt er sorgsam zurück, damit sie nicht zu Spekulationen Anlaß gaben, die beunruhigender waren, als es menschliche Überlegungen sein sollten. Es war auch nicht auf ein Wort von ihm zurückzuführen, sondern auf intelligente unabhängige Beobachtung, daß sich einer der Männer über das zerzauste schwarze Haar der Leiche und die Art, wie die Papiere zerstreut waren, Gedanken zu machen begann.
Dieser Mann sagte, es wäre, als hätte eine starke Brise durch den offenen Eingang geblasen, zu dem der Tote geblickt hatte, wohingegen, auch wenn die einst zugemauerten Fenster die warme Juni-Luft völlig ungehindert hereinließen, sich während des ganzen Tages kaum ein Lüftchen geregt hatte. Als einer der Männer die Blätter des auf dem Tisch und dem Fußboden verstreuten frisch geschriebenen Manuskripts einsammeln wollte, gebot ihm Dr. Morehouse mit besorgter Geste Einhalt.
Er hatte das Blatt gesehen, das noch in der Maschine steckte, zog es hastig heraus und steckte es ein, nachdem ihn ein Satz oder zwei erneut hatten erblassen lassen. Dieser Vorfall veranlaßte ihn, die verstreuten Blätter selbst einzusammeln und sie, wie sie waren, in die Innentasche zu stopfen, ohne sich die Mühe zu machen, sie richtig zu ordnen. Und nicht einmal das Gelesene erschreckte ihn halb so sehr wie das, was.ihm aufgefallen war - der kaum merkliche Unterschied in Druck und Stärke der Schreibmaschinenschrift, durch die sich die Blätter, die er aufgelesen hatte, von dem unterschieden, das er in der Schreibmaschine gefunden hatte. Diese schattenhaften Eindrücke waren für ihn untrennbar verbunden mit jenem anderen entsetzlichen Umstand, den er so eifrig vor den Männern verbarg, die vor kaum zehn Minuten noch das Klappern der Schreibmaschine gehört hatten - jenem Umstand, den er selbst aus dem eigenen Geist zu verdrängen suchte, bis er allein sein und in den gnädigen Tiefen seines Morris-Stuhls ruhen konnte. Man mag die Furcht, die er über diesen Umstand empfand, abschätzen, wenn man bedenkt, was er riskierte, wenn er ihn unterdrückte. In seiner mehr als dreißigjährigen ärztlichen Praxis hatte er sich von der Ansicht leiten lassen, daß ein Amtsarzt keinerlei Tatsache unterdrücken dürfe. Und doch erfuhr bei all den Formalitäten der Folgezeit nie jemand, daß er, als er diesen starrenden, deformierten Leichnam des Blinden untersuchte, sofort erkannt hatte, daß der Tod mindestens eine halbe Stunde vor Entdeckung der Leiche eingetreten sein mußte, Schließlich schloß Dr. Morehouse die Außentür und führte die Gruppe durch jeden Winkel des uralten Gemäuers auf der Suche nach Beweisen, welche die Tragödie erhellen mochten. Aber niemals war ein Ergebnis negativer als dieses. Er wußte, daß man die Falltür des alten Simeon Tanner entfernt hatte, sobald die Bücher und die Leiche dieses Einsiedlers verbrannt und der Keller darunter und der gewundene Tunnel unter dem Sumpf gleich nach ihrer Entdeckung, rund fünfunddreißig Jahre später, zugeschüttet worden waren. Jetzt erkannte er, daß keine neuen Abnormitäten an ihre Stelle getreten waren. Das ganze Gebäude zeigte bloß den normalen Zustand einer modernen, mit Geschmack und Sorgfalt durchgeführten Restaurierung.
Nachdem er den Sheriff in Fenham angerufen hatte, daß der Amtsarzt des Bezirkes Bayboro kommen möge, wartete er auf das Erscheinen des Sheriffs, der nach seiner Ankunft darauf bestand, zwei der Männer als
Weitere Kostenlose Bücher