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Azathoth - Vermischte Schriften

Azathoth - Vermischte Schriften

Titel: Azathoth - Vermischte Schriften Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Howard Phillips Lovecraft
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versteht, warum ich diese Wahl treffe.
    Das Rasiermesser! Ich hatte es seit meiner Flucht aus Bayboro in meiner Tasche vergessen. Seine blutbefleckte Klinge glitzert merkwürdig in dem abnehmenden Licht der dünnen
    Mondsichel. Nur ein klaffender Schnitt quer über mein linkes Handgelenk, und die Erlösung ist gesichert.
    Warmes, frisches Blut sprenkelt groteske Muster auf schmutzige, zerbrochene Platten... phantasmagorische Horden schwärmen über die faulenden Gräber... gespenstische Finger locken mich... ätherische Bruchstücke ungeschriebener Melodien steigen im himmlischen Crescendo auf... ferne Sterne tanzen trunken zu dämonischer Begleitmusik... tausend dünne Hämmer schlagen in meinem chaotischen Gehirn entsetzliche Dissonanzen auf Ambossen an... graue Gespenster
    hingemordeter Seelen ziehen in höhnendem Schweigen an mir vorbei... verbrannte Zungen unsichtbarer Flammen drücken meiner siechen Seele das Brandzeichen der Hölle auf... Ich kann
    - nicht mehr schreiben...

Taub, stumm und blind
    C. M. Eddy jr. und H. P. Lovecraft

    Am 28. Juni 1924, kurz nach Mittag, hielt Dr. Morehouse mit seinem Wagen vor dem Tanner-Besitz, und vier Männer stiegen aus. Das Steingebäude, perfekt wie neu instand gesetzt, stand gleich neben der Straße, und ohne Sumpf auf der Hinterseite hätte es keine Spur einer düsteren Andeutung gegeben.
    Der makellos weiße Hauseingang über dem gepflegten Rasen war schon in einiger Entfernung von der Straße her sichtbar, und als sich die Gesellschaft des Arztes näherte, war zu erkennen, daß die schwere Eingangstür sperrangelweit offen stand. Nur die Fliegentür war geschlossen. Die Nähe des Hauses hatte den vier Männern ein nervöses Schweigen aufgezwungen, denn was darin lauerte, konnte man sich nur mit unbestimmtem Grauen ausmalen. Dieses Grauen nahm deutlich ab, als die Neugierigen das eindeutige Geräusch von Richard Blakes Schreibmaschine vernahmen.
    Vor weniger als einer Stunde war ein erwachsener Mann aus dem Haus geflohen, schreiend und ohne Hut und Mantel, und war auf der Schwelle des nächsten Nachbarhauses, eine halbe Meile entfernt, zusammengebrochen. Er hatte zusammenhanglos etwas von »Haus«, »Dunkel«, »Sumpf« und »Zimmer«
    gebrabbelt. Dr. Morehouse bedurfte keines weiteren Antriebs zu aufgeregtem Handeln, als er erfuhr, daß aus dem alten Tanner-Haus am Rand der Sümpfe ein Verrückter mit Schaum vor dem Mund herausgerannt war. Er hatte gewußt, daß etwas passieren würde, schon als die zwei Männer in dem verfluchten Steinhaus eingezogen waren der Mann, der geflüchtet war, und sein Herr, Richard Blake, der Schriftsteller aus Boston, das Genie, das mit wachen Nerven und Sinnen in den Krieg gezogen und in dem jetzigen Zustand zurückgekehrt war, noch immer weltmännisch, wenn auch halb gelähmt, noch immer mit voller Melodie unter den Anblicken und Tönen einer lebhaften Phantasie wandernd, wenn auch für immer von der Körperwelt ausgeschlossen, taub, stumm und blind.
    Blake hatte sich in die unheimlichen Überlieferungen und grauenvollen Andeutungen über das Haus und seine früheren Bewohner versenkt. Derartige Gespenstersagen waren ein Vorzug der Phantasie, von deren Genuß ihn sein körperlicher Zustand nicht abhalten konnte. Er hatte über die Voraussagen der abergläubischen Einheimischen gelächelt. Jetzt, da sein einziger Gefährte in einer verrückten Ekstase panisch die Flucht ergriffen und ihn hilflos dem, was dieses Entsetzen ausgelöst haben mochte, zurückgelassen hatte, hatte Blake vielleicht weniger Anlaß zu schwelgen und zu lächeln! Das war zumindest Dr. Morehouses Überlegung gewesen, als er sich mit dem Problem des Davongelaufenen konfrontiert sah und sich bei der Verfolgung der Sache an die verwunderten Dorfbewohner um Hilfe wandte. Die Familie Morehouse war ein alteingesessenes Geschlecht aus Fenham, und der Großvater des Arztes hatte zu denen gehört, die die Leiche des Einsiedlers Simeon Tanner 1819 verbrannten. Selbst nach so langer Zeit konnte der ausgebildete Arzt nicht verhindern, daß es ihm kalt den Rücken hinunterlief, wenn er daran dachte, was man sich über diese Verbrennung erzählte - über die naiven Schlußfolgerungen, die ungebildete Landbewohner aus einer winzigen und
    bedeutungslosen Entstellung des Toten zogen. Er wußte, daß das Gruseln närrisch war, denn leicht hervortretende Knochen auf der Stirnseite des Schädels haben nichts zu bedeuten und sind bei Glatzköpfigen ziemlich häufig zu beobachten.
    Unter

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