Azathoth - Vermischte Schriften
hat mir wieder Gewalt über mich selbst gegeben. Vielleicht kann ich dieses Gefühl einer näher kommenden Gefahr lang genug abschütteln, um zu schildern, was sich bisher ereignet hat.
Zunächst war es nichts weiter als ein Zittern, ähnlich etwa dem Erzittern eines billigen Wohnhausblocks, wenn ein schwerer Lastwagen in der Nähe vorbeidonnert - das hier ist jedoch kein schlampig errichteter Skelettbau. Vielleicht bin ich für derlei allzu empfänglich und möglicherweise spielt mir die Einbildung einen Streich, aber mir war so, als sei die Erschütterung unmittelbar vor mir weit ausgeprägter gewesen -
und mein Stuhl steht in Richtung des südöstlichen Flügels; von der Straße ausgehend in einer direkten Linie bis zum Sumpf am Ende des Grundstücks! Vielleicht war es nur eine Einbildung, aber das Folgende läßt sich nicht leugnen. Mich erinnerte es an Augenblicke, wo ich gespürt habe, wie der Boden unter meinen Füßen von der Explosion riesiger Granaten erzitterte, an Zeiten, da ich gesehen habe, daß Schiffe wie Strohhalme von der Gewalt eines Taifuns hin und her geworfen wurden. Das Haus wurde geschüttelt wie Zunder in den Sieben Niefelheims. Jedes Dielenbrett unter meinen Füßen erzitterte wie ein leidendes Wesen. Meine Schreibmaschine bebte, bis ich mir vorstellte, daß die Typen vor Furcht klapperten.
Ein kurzer Augenblick, und alles war vorüber. Alles ist so ruhig wie zuvor. Allzu ruhig! Es scheint unmöglich zu sein, daß sich so etwas ereignen kann und daß alles genauso bleibt wie zuvor. Nein, nicht genau - ich bin ganz sicher, daß Dobbs etwas zugestoßen ist. Es ist diese Gewißheit, gekoppelt mit einer unnatürlichen Ruhe, welche die ahnungsvolle Furcht verstärkt, die an mir hochkriecht.
Furcht? Ja - obwohl ich vernünftig zu überlegen suche, daß es nichts gibt, vor dem man sich fürchten müßte. Die Kritiker haben meine Dichtung wegen etwas, was sie eine lebhafte Phantasie nennen, sowohl gelobt wie verurteilt. In Zeiten wie jetzt stimme ich voll und ganz mit jenen überein, die »zu lebhaft« schreien. Nichts kann sehr aus dem Lot sein oder...
Rauch! Nur eine schwache Spur von Schwefel, aber eine, die für meine empfindlichen Nasenlöcher unverkennbar ist. So schwach, fürwahr, daß es mir unmöglich ist festzustellen, ob sie von einem Teil des Hauses ausgeht oder durch das Fenster des angrenzenden Raumes, der sich zum Sumpf hinaus öffnet, hereintreibt. Der Eindruck verstärkt sich. Ich bin mir jetzt sicher, daß sie nicht von außen kommt. Wechselnde Visionen der Vergangenheit, düstere Szenerien früherer Tage blitzen im dreidimensionalen Überblick vor meinem geistigen Auge auf.
Eine in Flammen stehende Fabrik... hysterische Schreie erschrockener Frauen, die von Feuerwänden eingeschlossen sind; eine brennende Schule... mitleiderregendes Geschrei hilfloser Kinder, die von eingestürzten Treppen gefangen sind, ein Theaterbrand... ein rasendes Babel panikerfüllter Leute, die sich über glühendheiße Fußböden ins Freie kämpfen und, vor allem, undurchdringliche Wolken schwarzen, giftigen, bösartigen Rauchs, der den friedlichen Himmel vergiftet. Die Luft im Zimmer ist mit dicken, schweren, erstickenden Wellen gesättigt... jeden Augenblick erwarte ich zu spüren, wie heiße Flammenzungen begierig an meinen nutzlosen Beinen lecken...
die Augen schmerzen... die Ohren sausen... Ich huste und spucke, um meine Lungen von den erstickenden Dämpfen frei zu bekommen... ein derartiger Rauch entsteht nur im Gefolge entsetzlicher Katastrophen, stechender, stinkender, verpesteter Rauch, durchsetzt von widerlichem Geruch brennenden Fleisches.
Wieder einmal bin ich allein mit dieser unheilverkündenden Ruhe. Die willkommene Brise, die über meine Wangen streicht, stellt meinen dahingeschwundenen Mut sehr rasch wieder her.
Das Haus kann eindeutig nicht in Flammen stehen, denn auch der letzte Rest des marternden Rauchs hat sich verzogen. Ich merke nicht mehr die geringste Spur davon, obwohl ich die Luft wie ein Bluthund geschnüffelt habe. Ich frage mich allmählich, ob ich verrückt werde, ob die Jahre der Einsamkeit in meinem Gemüt eine Schraube haben locker werden lassen - aber die Erscheinung war zu bestimmt, als daß ich sie als bloße Halluzination abtun könnte. Geistig gesund oder verrückt, ich kann mir diese Dinge nicht anders als konkret vorstellen - und in dem Augenblick, da ich sie einordne, bleibt mir nur eine einzige logische Schlußfolgerung. Die Indizien an sich reichten
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