Azathoth - Vermischte Schriften
es ein unabdingbarer Bestandteil des Lebens selbst war, daß ich ohne seine Befriedigung wie eine leere Lampe ausbrennen würde. Ich sammelte alle verbliebene Energie, um mich für die Aufgabe zu rüsten, meinen verfluchten Appetit zu befriedigen. Trotz der damit verbundenen Gefahr machte ich mich zu einer
Erkundigung auf, ich huschte wie ein abstoßendes Gespenst durch die schützenden Schatten. Wieder einmal hatte ich das seltsame Gefühl, ich würde von einem unsichtbaren
Gefolgsmann des Satans geleitet. Doch selbst meine von Sünde durchdrungene Seele revoltierte für einen Augenblick, als ich vor meiner heimatlichen Bleibe, wo ich in meiner Jugend gewohnt hatte, stand.
Dann verschwammen diese schmerzlichen Erinnerungen. An ihre Stelle trat ein überwältigendes, lusterfülltes Verlangen.
Hinter den verfallenen Wänden dieses alten Gemäuers lag meine Beute. Einen Augenblick später hatte ich eines der zerbrochenen Fenster hochgeschoben und kletterte über die Brüstung. Ich horchte einen Augenblick, alle Sinne wachsam, alle Muskeln zur Tat gespannt. Das Schweigen gab mir wieder Sicherheit.
Katzengleich stahl ich mich durch die vertrauten Räume, bis mir ein röchelndes Schnarchen verkündete, an welcher Stelle ich Erleichterung von meiner Qual finden würde. Ich erlaubte mir ein Seufzen vorweggenommener Ekstase, als ich die Tür der Schlafkammer aufstieß. Panthergleich fand ich den Weg zu der ausgestreckten Gestalt, die in trunkener Benommenheit dalag.
Die Frau und das Kind - wo waren sie? - nun, sie konnten warten. Meine gekrallten Finger tasteten nach seiner Kehle.
Stunden später war ich erneut auf der Flucht, doch verfügte ich über eine neuerlangte gestohlene Stärke. Drei stumme Gestalten schliefen den ewigen Schlaf. Erst als das grelle Tageslicht in mein Versteck drang, wurden mir die
unausweichlichen Folgen meiner so unbedacht erlangten Erleichterung klar. Bis zu dieser Zeit mußte man die Leichen entdeckt haben. Selbst die dümmsten Landpolizisten mußten die Tragödie mit meiner Flucht aus der nahen Stadt in Verbindung bringen. Außerdem war ich zum ersten Mal sorglos genug gewesen, einen greifbaren Beweis meiner Identität zu hinterlassen - meine Fingerabdrücke auf den Kehlen der gerade Ermordeten. Den ganzen Tag über zitterte ich in nervöser Vorahnung. Schon das bloße Knacken eines trockenen Zweiges unter meinem Schritt beschwor Bilder herauf, die mich in Schrekken versetzten. In jener Nacht, im Schutz der Dunkelheit, umschlich ich Fenham und brach in die Wälder auf, die auf der anderen Seite lagen. Vor Morgenanbruch kam der erste definitive Hinweis, daß die Verfolgung wieder im Gange war -
fernes Hundegebell.
Während der langen Nacht quälte ich mich weiter, aber am Morgen konnte ich spüren, wie meine künstliche Kraft verebbte.
Gegen Mittag regte sich neuerlich der hartnäckige Ruf des vergiftenden Fluches, und ich wußte, daß ich unterwegs zusammenbrechen würde, wenn nicht wieder die exotische Trunkenheit, die nur mit der Nähe der geliebten Toten kam, eintrat. Ich war in einem weiten Halbkreis gewandert. Wenn ich mich stetig weiterkämpfte, würde ich gegen Mitternacht bei dem Friedhof sein, in dem ich vor vielen Jahren meine Eltern zur letzten Ruhe gebettet hatte. Meine einzige Hoffnung, davon war ich überzeugt, lag darin, dieses Ziel zu erreichen, ehe man mich überwältigte. Mit einem schweigenden Gebet zu den Teufeln, die mein Schicksal beherrschten, wandte ich mich mit bleiernen Füßen in die Richtung meines letzten Zufluchtsortes.
Großer Gott! Waren wirklich kaum zwölf Stunden vergangen, seit ich nach meinem gespenstischen Zufluchtsort aufgebrochen war? In jeder bleiernen Stunde habe ich eine Ewigkeit durchlebt.
Doch wurde mir eine reiche Belohnung zuteil. Der ungesunde Hauch dieses verrotteten Ortes ist Weihrauch für meine Seele.
Die ersten Strahlen der Morgendämmerung färben den Horizont grau. Sie kommen! Meine scharfen Ohren fangen das ferne Heulen der Hunde auf! Es kann nur Minuten dauern, bis sie mich gefunden haben werden und mich für immer von der übrigen Welt wegschließen, auf daß ich meine Tage in rasender Sehnsucht verbringe, bis ich zuletzt mit den Toten eins werde, die ich liebe!
Sie sollen mich nicht ergreifen! Ein Fluchtweg steht mir offen! Die Wahl eines Feiglings vielleicht, aber besser - weit besser - als die endlosen Monate namenlosen Unglücks. Ich werde diese Aufzeichnung zurücklassen, damit die eine oder andere Seele vielleicht
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