Azathoth - Vermischte Schriften
zu sein, aber man weiß alles, was vorgeht, und am nächsten Tag is' man so gut wie zuvor. Begrabt ihn nicht - er kommt unter der Erde zu sich und kann sich nicht durcharbeiten!
Er is'n guter Mensch, nich' wie Tom Sprague. Ich hoff bei Gott, Tom kratzt und erstickt stundenlang...«
Aber niemand außer Barbour schenkte dem armen Johnny die geringste Beachtung. Auch das, was Steve selbst gesagt hatte, war offensichtlich auf taube Ohren gestoßen. Überall herrschte Unsicherheit.
Der alte Doc Pratt machte letzte Tests und murmelte etwas von Formularen für die Toterklärung, und der salbungsvolle Presbyter Atwood schlug ein Doppelbegräbnis vor. Da Thorndike tot war, gab es bis Rutland keinen Totengräber, und es würde eine riesige Ausgabe bedeuten, einen von dort zu holen.
Wenn Thorndike aber in diesem heißen Juniwetter nicht einbalsamiert wurde die Folgen waren nicht auszudenken. Es gab keine Verwandten und Freunde, die Einwände erheben konnten, falls sich nicht Sophie dazu entschloß - aber Sophie befand sich auf der anderen Seite des Raumes und starrte schweigend, gebannt und wie in düsteren Gedanken krankhaft in den Sarg ihres Bruders.
Diakon Leavitt versuchte den Anschein von geziemender Würde wiederherzustellen und ließ den armen Thorndike quer durch die Halle ins Wohnzimmer schaffen. Inzwischen sandte er Zenas Wells und Walter Perkins ins Haus des Totengräbers nach einem Sarg passender Größe. Der Schlüssel steckte in Henrys Hosentasche. Johnny jammerte weiter und zerrte an der Leiche, und Presbyter Atwood versuchte, Nachforschungen über Thorndikes Konfession anzustellen - denn Henry hatte nicht an den örtlichen Gottesdiensten teilgenommen. Als man zu dem Entschluß kam, daß seine Angehörigen in Rutland - die jetzt alle tot waren - Baptisten waren, entschied Reverend Silas, daß am besten Diakon Leavitt das kurze Gebet sprach.
Es war ein Festtag für die Begräbnisliebhaber von Stillwater und Umgebung. Selbst Luella hatte sich soweit erholt, daß sie bleiben konnte. Murmeln und Flüstern erfüllte den Raum, während an Thorndikes abkühlendem, steif werdendem Körper die letzten Handgriffe vorgenommen wurden.
Johnny hatte man aus dem Haus gejagt, und die meisten waren sich einig, daß man das gleich hätte tun sollen. Sein fernes Heulen war ab und zu grausig zu hören.
Als die Leiche eingesargt und neben der Thomas Spragues aufgebahrt war, starrte die schweigende, beinahe erschreckt aussehende Sophie sie so intensiv an, wie sie die Leiche ihres Bruders angestarrt hatte. Eine gefährlich lange Zeit hatte sie kein Wort hervorgebracht, und der verwirrte Ausdruck auf ihrem Gesicht entzog sich jeder Beschreibung oder
Interpretation. Als sich die anderen zurückzogen, um sie mit den Toten allein zu lassen, raffte sie sichzu einer Art mechanischer Rede auf, aber niemand konnte aus ihren Worten schlau werden.
Sie schien zuerst zu einer Leiche und dann zur anderen zu sprechen.
Und nun wurde die ganze Begräbnis-Maskerade vom
Nachmittag lustlos wiederholt, in einer Art und Weise, die einem Außenstehenden als Höhepunkt grausamer unbewußter Komödie erscheinen mußte.
Wiederum schnaufte das Harmonium, der Chor kreischte, wiederum wurde ein leiernder Tonfall angeschlagen, und wiederum zogen die krankhaft neugierigen Zuschauer an einem makabren Gegenstand vorüberdiesmal sterblichen Überresten in doppelter Anordnung. Einige der Empfindsameren schüttelte es ob dieser Prozedur, und wieder verspürte Stephen Barbour einen Ton tiefen Grauens und dämonischer Abnormität. Großer Gott, wie lebensecht wirkten diese beiden Leichen... und wie der arme Thorndike in vollem Ernst dafür plädiert hatte, daß er nicht für tot erklärt werden wollte... und wie er Tom Sprague haßte... aber was konnte man schon tun gegen den gesunden
Menschenverstand - ein Toter war ein Toter, und da war der alte Doc Pratt mit seiner Erfahrung.
Wenn sich sonst niemand den Kopf zerbrach, warum sollte man sich selbst Sorgen machen?... Was immer mit Tom passiert war, hatte er vermutlich verdient... und falls Henry ihm etwas angetan hatte, so waren sie quitt... zumindest war Sophie zu guter Letzt frei...
Als sich die gaffende Prozession zuletzt auf den Flur und zur Eingangstür bewegt hatte, war Sophie wieder mit dem Toten allein. Presbyter Atwood stand draußen auf der Straße und sprach mit dem Fahrer des Leichenwagens von Lees
Mietstallung, und Diakon Leavitt stellte die doppelte Anzahl von Sargträgern auf.
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