Azathoth - Vermischte Schriften
vorbei, von der Thorndike den verrückten Johnny gewaltsam wegzog. Tom schien friedlich zu ruhen. Zu seiner Zeit war dieser Teufel recht hübsch gewesen. Man hörte ein paar von Herzen kommende Seufzer - und viele vorgetäuschte -, doch begnügten sich die meisten in der Menge, neugierig zu glotzen und später flüsternd Bemerkungen zu machen. Steve Barbour verweilte lang und aufmerksam über dem ruhigen Gesicht und ging kopfschüttelnd weiter. Seine Frau Emily, die ihm folgte, flüsterte, daß Henry Thorndike besser nicht zu sehr mit seiner Arbeit prahlen solle, denn Toms Augen hatten sich geöffnet. Sie waren geschlossen gewesen, als die Andacht begann, denn sie hatte nahe gestanden und hatte es gesehen. Sie sahen aber ganz natürlich aus - nicht so, wie man es nach zwei Tagen erwarten würde.
Wenn Fred Peck in seiner Erzählung an diesem Punkt ankommt, hält er gewöhnlich inne, als sträube er sich fortzufahren. Auch der Zuhörer hat das Gefühl, daß etwas Unangenehmes bevorsteht. Peck beruhigt seine Zuhörer jedoch mit der Feststellung, daß das, was dann geschah, nicht so schlimm war, wie gern angedeutet wird. Selbst Steve hat nie gesagt, was er sich gedacht haben mag, und den verrückten Johnny darf man natürlich überhaupt nicht zählen.
Es war Luella Morse - die nervöse alte Jungfer, die im Chor sang -, die die Dinge ausgelöst zu haben schien. Sie zog wie die übrigen am Sarg vorbei, hielt aber inne, um ein bißchen genauer hinzusehen, als es alle mit Ausnahme der Barbours getan hatten.
Und dann stieß sie ohne Ankündigung einen schrillen Schrei aus und fiel in Ohnmacht.
Natürlich herrschte sofort ein Chaos. Der alte Doktor Pratt bahnte sich mit dem Ellbogen den Weg zu Luella und rief, man solle etwas Wasser bringen und ihr das Gesicht benetzen.
Andere drängten herbei, um sie und den Sarg anzustarren.
Johnny begann vor sich hinzumurmeln: »Er weiß es, er weiß es, er kann alles hören, was wir sagen, und alles sehn, was wir tun, und man wird ihn so begraben« - aber bis auf Steve Barbour schenkte ihm niemand Beachtung.
Nach einigen Augenblicken erwachte Luella aus ihrer Ohnmacht. Sie konnte nicht genau sagen, was sie so erschreckt hatte, sondern wisperte bloß: »Wie er ausschaute - wie er ausschaute.« Für die anderen aber schien die Leiche völlig unverändert zu sein. Sie bot jedoch einen grausigen Anblick, mit den offenen Augen und den geröteten Wangen. Und dann fiel der erstaunten Menge etwas auf, was sowohl Luella wie auch der Leiche einen Augenblick die Aufmerksamkeit stahl. Es war Thorndike - auf den die Menge eine merkwürdig schlechte Wirkung zu haben schien. In dem allgemeinen Hin und Her war er offensichtlich umgestoßen worden und lag auf dem Boden, wo er sich aufzurichten suchte.
Sein Gesicht zeigte einen höchst erschreckten Ausdruck, und sein Blick wurde glasig und trüb. Er brachte kein lautes Wort hervor, doch das heisere Rasseln seiner Kehle zeigte, für alle unverkennbar, eine unsägliche Verzweiflung an.
»Bringt mich nach Hause, rasch, und laßt mich allein. Die Flüssigkeit, die irrtümlich in meinen Arm gelangt ist...
Herzreaktion... diese verdammte Aufregung... zu viel... wartet...
wartet... Ich komme später zurück, weiß nicht, wie lange es dauert... die ganze Zeit werde ich bei Bewußtsein sein und wissen, was vorgeht... laßt euch nicht täuschen...«
Als diese Worte im Nichts verklangen, trat der alte Doktor Pratt zu ihm und fühlte seinen Puls - beobachtete ihn lange Zeit und schüttelte schließlich den Kopf. »Es hat keinen Zweck, etwas zu unternehmen - er ist tot. Herzversagen - und die Flüssigkeit, die er in den Arm bekam, muß ein schlimmes Zeug gewesen sein. Keine Ahnung, was es ist.«
Die ganze Gesellschaft schien wie gelähmt. Ein neuer Todesfall im Totengemach! Nur Steve Barbour erinnerte an Thorndikes letzte Worte, die er hervorgestoßen hatte. War er wirklich tot, wenn er selbst gesagt hatte, es könnte fälschlicherweise so aussehen? Wäre es nicht besser, eine Weile abzuwarten, was geschehen würde? Und was konnte es schaden, wenn sich Doc Pratt Tom Sprague vor der Grablegung noch einmal ansah? Der verrückte Johnny stöhnte und hatte sich wie ein treuer Hund auf Thorndike geworfen. »Begrabt ihn nicht, begrabt ihn nicht! Er is' so wenig tot wie Lige Hopkins Hund oder Diakon Leavitts Kalb, als er ihnen die Spritze verpaßt hatte. Er hat da so'n Zeugs, das er einem eingibt, damit man tot aussieht, wenn man's gar nich' is'! Man scheint tot
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