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Azathoth - Vermischte Schriften

Azathoth - Vermischte Schriften

Titel: Azathoth - Vermischte Schriften Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Howard Phillips Lovecraft
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vorbereitet hatte, und man sah häufig, wie er seinen Puls fühlte. Der alte Doktor Pratt dachte, daß er sich über die zufällige Dosis von Balsamierflüssigkeit Sorgen machte.
    Natürlich hatte sich die Geschichte verbreitet, so daß doppelter Eifer die Trauergäste beflügelte, die sich versammelten, um ihre Neugier und ihr krankhaftes Interesse zu befriedigen.
    Auch wenn Thorndike offensichtlich besorgt war, schien er darauf bedacht zu sein, seiner beruflichen Pflicht in großem Stil nachzukommen. Sophie und andere, die die Leiche sahen, waren höchst erstaunt über ihre völlige Lebensähnlichkeit, und der Friedhofsvirtuose sicherte seine Aufgabe ab, indem er in regelmäßigen Abständen bestimmte Injektionen wiederholte. Er entlockte den Städtern und Trauergästen beinahe eine Art widerwilliger Bewunderung, auch wenn er dazu neigte, den Eindruck durch sein prahlerisches und geschmackloses Gerede zu verderben. Wann immer er sich um seinen schweigenden Klienten kümmerte, wiederholte er das ewige Gefasel von dem Glück, einen erstklassigen Totengräber zu haben. Was - sagte er, als wende er sich direkt an den Leichnam -, wenn Tom zu den nachlässigen Burschen gehört hätte, die ihre Toten lebendig begraben? Die Art, wie er vom Grauen des
    Lebendbegrabenseins nicht loskam, war wirklich barbarisch und ekelhaft.
    Der Trauergottesdienst wurde in dem stickigen Salon abgehalten, der seit dem Tod Mrs. Spragues zum ersten Mal geöffnet worden war. Das verstimmte kleine Harmonium ächzte jämmerlich, und der Sarg, nahe der Eingangstür aufgebahrt, war mit widerwärtig riechenden Blumen bedeckt. Eine große Menschenmenge war aus nah und fern herbeigeströmt, und Sophie bemühte sich, um ihretwillen gebührenden Schmerz zu zeigen. In Augenblicken, da sie ihre Beherrschung vergaß, schien sie so verwundert wie unruhig zu sein, und ihr Blick ging zwischen dem fiebrig aussehenden Totengräber und der lebensechten Leiche ihres Bruders hin und her. In ihr schien langsam Abscheu vor Thorndike zu wachsen, und die
    Umstehenden flüsterten ohne Scheu, daß sie ihm jetzt bald Beine machen würde, da Tom nicht mehr im Weg stand das heißt, falls sie dazu imstande war, denn es fiel manchmal schwer, mit einem so aalglatten Burschen fertig zu werden. Mit Hilfe ihres Geldes und ihrem immer noch guten Aussehen würde sie jedoch vielleicht wieder einen Freund finden können, und der würde sich Henrys schon annehmen.
    Als das Harmonium schnaufend »Schöne Insel im Irgendwo«
    anstimmte, stimmte der Kirchenchor der Methodisten mit seinen kummervollen Stimmen in die grausige Kakophonie ein, und alle blickten fromm auf Diakon Leavett - das heißt, alle bis auf den verrückten Johnny Dow, der die Augen noch immer auf die ruhige Gestalt im Glassarg geheftet hielt. Er murmelte leise etwas in seinen Bart.
    Stephen Barbour - von der Nachbarfarm - war der einzige, der Johnny Beachtung schenkte. Es schüttelte ihn, als er merkte, daß der Idiot direkt zu der Leiche sprach und sogar mit den Fingern närrische Zeichen machte, als wolle er den Schläfer unter dem Glasdeckel herausfordern. Tom, fiel ihm ein, hatte den armen Johnny bei mehr als einer Gelegenheit drangsaliert, vielleicht aber auch hatte jener ihn dazu gereizt. Etwas an der ganzen Sache zerrte an Stephens Nerven. Unterdrückte Spannung lag in der Luft und eine brütende Abnormität, die er sich nicht erklären konnte. Man hätte Johnny nicht ins Haus lassen sollen - und es war merkwürdig, wie sehr sich Thorndike anscheinend dazu zwingen mußte, die Leiche anzusehen. Ab und zu fühlte der Totengräber sich mit seltsamer Gebärde den Puls.
    Reverend Silas Atwood leierte in monotonem Klageton seine Ansprache über den Verblichenen - wie das Todesschwert mitten auf diese Kleinfamilie herabgesaust war und die irdischen Bande zwischen dem liebenden Geschwisterpaar gekappt hatte. Mehrere Nachbarn blickten einander unter gesenkten Augenlidern verstohlen an, und Sophie begann tatsächlich, nervös zu weinen. Thorndike trat an ihre Seite und versuchte sie zu beruhigen, aber sie schien merkwürdigerweise vor ihm zurückzuweichen.
    Seine Bewegungen waren deutlich unsicher, und er schien heftig die ungewöhnliche Spannung zu spüren, die in der Luft lag. Schließlich schritt er, sich seiner Pflicht als Zeremonienmeister bewußt, nach vorn und kündigte mit Grabesstimme an, daß man einen letzten Blick auf den Verstorbenen werfen könne.
    Langsam defilierten Freunde und Nachbarn an der Totenbahre

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