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AZRAEL

AZRAEL

Titel: AZRAEL Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfgang Hohlbein
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zu seiner Rechten, und als sein Blick der Geste folgte, wurde der Traum endgültig zum Alptraum. Die Hand, die er hielt, war keine richtige Hand; das war sie vielleicht einmal gewesen, aber es mußte Jahre her sein. Jetzt war es eine mumifizierte Klaue, ein dürres Knochengerüst, über dem sich pergamenttrockene, graue Haut spannte, die an zahllosen Stellen gerissen war, so daß es weiß hindurchschimmerte. Sie steckte in einem vermoderten braunen Jackenärmel, an dem sein Blick hinaufwanderte, bis er auf das traf, was einmal en Gesicht gewesen war. Jetzt war es eine verwüstete, zerstörte Landschaft aus mumifiziertem Fleisch, vertrockneten grauen Hautfetzen und kratergleichen Wunden, an deren Grund eine Lava aus weißen Maden brodelte. Augen, Nase und Mund waren verschwunden und zu glitschigen Nistplätzen geworden, und eine gewaltige diagonale Schnittwunde spaltete dieses Horrorantlitz fast zur Gänze.
    Er schrie auf und versuchte sich zurückzuwerfen, aber die Totenhand hielt seine Finger mit unerbittlicher Kraft umklammert. Verzweifelt riß und zerrte er, um den stahlharten Griff zu sprengen. Die morschen Knochen raschelten wie trockenes Holz, und graue Leichenhaut löste sich in pulverfeinen Staub auf, der an seiner Hand herablief und in seinen Ärmel rieselte; ein Gefühl, als krabbelten Millionen winziger Spinnen an seinem Unterarm entlang.
    » Sieh nur, was du getan hast! Was du uns angetan hast! «
    Er wollte es nicht. Er versuchte, sich mit aller Kraft dagegen zu wehren, aber sein Blick löste sich gegen seinen Willen von dem schrecklichen Totengesicht zur Rechten und fiel in das noch viel schlimmere auf der linken Seite. Es war nicht so grausam zerstört wie das andere, aber viel jünger, beinahe noch das eines Kindes, und vielleicht wirkten die Verheerungen darum um so schrecklicher. Es war ein Mädchen mit blondem, schulterlangem Haar, dessen seidiger Glanz einen gräßlichen Kontrast zu der aufgerissenen Totenhaut des Gesichts bildete, und großen Augen, in denen noch eine verblassende Erinnerung an das Leben geschrieben stand, das einst darin gewesen war. Aber auch noch mehr: ein stummer Vorwurf wie ein lautloser Schrei, vor dem er die Augen verschließen konnte, aber nicht die Ohren: Es ist deine Schuld. Wir haben dich geliebt, und das ist dein Dank!
    » Sieh, was du getan hast! Sieh es dir an! «
    Er schrie erneut und noch lauter und versuchte noch einmal, sich loszureißen. Doch der Griff der toten Hände war wie Stahl. So wie der Anblick des Gesichtes seinen Blick gefangen hielt, umklammerten die dürren Finger seine Hände, ganz gleich, wie verzweifelt er auch versuchte, sich loszureißen. Dann nahm er eine Bewegung aus den Augenwinkeln wahr, und irgend etwas daran durchbrach den Bann, der ihn bisher gezwungen hatte, die Zombiegesichter neben sich anzustarren. Ein Schatten beugte sich über ihn, und für einen winzigen Moment glaubte er das Gesicht hinter dem leuchtenden Schleier zu erkennen. Vielleicht auch nur etwas wie ein Gesicht, nicht mehr ganz menschlich, aber auch nicht ganz fremd, und eine Hand streckte sich nach ihm aus und berührte seine Schulter.
    Ihr Griff war wie Feuer, das seinen Körper mit etwas tausendmal Schlimmeren wie Schmerz erfüllte, so daß er aufbrüllte und sich zurückwar f und sofort…
    … erwachte. Sein Herz jagte wie ein zuckender roter Gummiball in seiner Brust. Mark wußte sofort und mit unerbittlicher Sicherheit, daß er geträumt hatte, aber seltsamerweise half ihm dieses Wissen kein bißchen, die Furcht zu überwinden, die ihn noch immer erfüllte. Sie war und blieb noch in ihm wie ein pulsierender Embryo, den eine Schlupfwespe aus dem Land der Nachtmahre in ihm abgelegt hatte.
    »Fühlen Sie sich nicht wohl?«
    Marks Blick klärte sich nur langsam. Er konnte sehen, aber es fiel ihm schwer, den Bildern die richtige Bedeutung zuzuordnen. Vor ihm war noch immer ein Gesicht, und auf seiner Schulter lag noch immer eine Hand, die ihn wohl auch wachgerüttelt hatte, aber sie gehörten nicht mehr zu dem Todesengel, sondern einer vielleicht fünfzigjährigen dunkelhaarigen Frau, die besorgt auf ihn herabblickte und ihre Frage wieder-holte, vielleicht nicht zum ersten Mal.
    »Fühlen Sie sich nicht wohl?«
    Mark schüttelte benommen den Kopf. »Es ist nichts«, murmelte er. »Ich hatte einen Alptraum... glaube ich.«
    »Sie haben geschrien.« Die Frau nickte. Dann machte sich plötzlich Verlegenheit auf ihrem Gesicht breit, und sie richtete sich hastig auf und nahm

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