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AZRAEL

AZRAEL

Titel: AZRAEL Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfgang Hohlbein
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dort, wo er den Schatten gesehen zu haben glaubte. Vielleicht nur ein weiterer Fehler. Ein Haar, das während der Belichtung auf das Blatt gefallen war, ein Staubpartikel auf der Linse oder eine Verunreinigung im Negativ. All das und noch viel mehr hätte es sein können – aber irgend etwas sagte ihm, daß das nicht die wirkliche Erklärung war. Wenn man lange genug hinsah, dann schien diese dünne Linie tatsächlich die Umrisse einer menschlichen Gestalt nachzuzeichnen: ein nachtschwarzer Schatten, der vor einer starken, aber weit entfernten Lichtquelle stand und sie beinahe vollständig verdeckte, so daß er eine leuchtende Korona bekam wie der Mond bei einer Sonnenfinsternis.
    Er würde der Sache jetzt auf den Grund gehen. Mogrod nahm das Foto aus der Schale, legte es ins Fixierbad und wusch sich rasch, aber sehr gründlich die Hände, ehe er die Filmstreifen zur Hand nahm und das entsprechende Negativ heraussuchte. Er untersuchte es, ohne irgendeine Besonderheit zu entdecken, schaltete das Licht aus und machte einen weiteren Abzug. Diesmal achtete er peinlich genau darauf, keinen Fehler zu machen.
    Das sonderbare Gefühl, das beim Anblick des Bildes von Mogrod Besitz ergriffen hatte, verstärkte sich weiter, während er arbeitete. Auf dem Negativ war nämlich nicht der allerkleinste Makel zu entdecken. Es zeigte die Blutschrift an der Wand und sonst nichts. Keinen Kratzer, keine Verunreinigung, nicht einmal den Schatten eines Schattens. Ein Fehler im Fotopapier? Eigentlich war das nicht möglich - nicht so -, aber Mogrod zog diese Alternative zumindest in Betracht, und wenn es so war, dann war es höchst bedauerlich, denn das bedeutete, daß er den Effekt nicht würde wiederholen können. Ade Geisterfoto und ade Extrahonorar.
    Er vergrößerte die entsprechende Stelle so stark, wie es das Format seines Fotopapiers zuließ, nahm das Blatt aus dem Projektor und ließ es in die Schale mit Entwickler gleiten. Er mußte nur ein paar Sekunden warten, bis sich die ersten grauen Konturen auf der strahlendweißen Oberfläche zu zeigen begannen.
    Und der Schatten war da. Die Wand, ein Teil des Türrahmens, die verlaufende Schrift - und der unheimliche Umriß, der eigentlich gar nicht da sein durfte und auf dem Negativ auch nicht zu sehen war. Mogrod war sicher. Er hatte ganz genau hingesehen. Was sich da vor seinen Augen in wolkigem Grau bildete und allmählich zu scheinbarer Substanz gerann, war auf dem Negativ eindeutig nicht abgebildet. Konnte es sein, daß...
    ... daß er tatsächlich eine Art Gespenst fotografiert hatte?
    Das war natürlich hahnebüchener Unsinn – Mogrod glaubte weder an Geister noch an irgendwelchen anderen übernatürlichen Kram —, und trotzdem konnte er spüren, wie sich die feinen Härchen in seinem Nacken bei diesem Gedanken aufstellten.
    Vielleicht zum ersten Mal überhaupt fiel ihm auf, wie gespenstisch der Anblick eines Bildes war, das scheinbar aus dem Nichts heraus auf dem Papier erschien, sobald man es in die Entwicklerflüssigkeit gegeben hatte. Das rote Licht in der Kammer verstärkte den unheimlichen Effekt noch und gab ihm etwas Düsteres, Drohendes.
    Mogrod war immer noch nicht bereit, zuzugeben, was er wirklich empfand, nämlich Angst. Aber sein Herz begann schneller zu schlagen, während das Bild weiter an Deutlichkeit und Schärfe zunahm.
    Der Schatten war jetzt ganz deutlich zu sehen - und es war eindeutig nicht sein Schatten.
    Es war der Schatten einer großen, sehr schlanken Gestalt, die eine Art gürtelloses Kleid oder Toga zu tragen schien und schulterlanges glattes Haar hatte. Ihre Arme, die in sehr weit geschnittenen Trompetenärmeln steckten, waren halb ausgebreitet, und hinter und über ihnen war noch etwas, als trüge sie etwas Großes auf dem Rücken, das er nicht genau erkennen konnte.
    Unmöglich, dachte Mogrod. Was er sah, war unmöglich. Der Schatten war jetzt viel deutlicher als vorhin, auf dem ersten Abzug, und er war auch fast sicher, daß er da nicht mit halb erhobenen Armen dagestanden hatte. Es konnte nicht sein. Es konnte, konnte, konnte nicht sein!
    Der Schatten verdichtete sich weiter. Er war jetzt viel mehr als ein Schemen, und wäre Mogrod nicht bereits halb hysterisch gewesen, hätte er zugegeben, daß er keinen Schatten mehr betrachtete, sondern längst eine Gestalt, die er fotografiert hatte. Aus hellem wurde dunkleres Grau, dann Schwarz, und auch seine Umrisse wurden schärfer. Das Bild war bereits wieder überentwickelt. Die Wand mit Löbachs

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