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AZRAEL

AZRAEL

Titel: AZRAEL Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfgang Hohlbein
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kleiner, als er erwartet hatte, fast von der Statur eines Kindes, und vollkommen schwarz. Aber es war keine wirkliche Farbe, sondern etwas, für das es keine Bezeichnung gab, und auch sein Gesicht, obwohl jetzt gänzlich unversehrt, war nicht wirklich zu erkennen, als wäre es menschlichen Augen nicht gestattet, das Antlitz des Todesengels zu sehen. Seine Flügel waren gigantisch, viel zu groß für die zerbrechliche Gestalt, und von der gleichen unwirklichen Farbe. Er begann sie langsam zu entfalten, wobei er gleichzeitig die Arme ausbreitete.
    Und Mogrod wußte mit unerschütterlicher Sicherheit, daß er sterben würde, wenn die Bewegung vollendet war.
    Er wollte nicht sterben. Nicht jetzt. Nicht hier. Nicht so. Nicht ausgerechnet jetzt! Er war seinem Ziel so nahe! Es war einfach nicht fair!
    Der Gedanke erfüllte ihn mit jener absoluten Kraft, wie sie nur die Todesangst oder bestimmte Drogen hervorrufen konnten, die erlaubten, den Tod im Leben zu erfahren. Mit einem noch gellenderen Schrei sprang er auf die Füße, warf sich zur Seite und schlug die Türklinke herab, wobei er sich mehrere Fingernägel abbrach, so daß er blutige Spuren auf dem Holz hinterließ.
    Er spürte es nicht. Er torkelte weiter, sprengte die Tür mit der Schulter auf und stolperte schreiend auf die Straße hinaus. Brandgeruch und der Gestank von heißen Maschinen lagen in der Luft. Nicht weit entfernt hämmerte ein Maschinengewehr, und aus den Fenstern des gegenüberliegenden Hauses schlugen Flammen.
    Mogrod stolperte mit haltlos rudernden Armen noch zwei, drei Schritte weiter, ehe er schließlich fiel und so schmerzhaft auf das rechte Knie prallte, daß ihm die Tränen in die Augen scho ssen. Er ignorierte auch diesen Schmerz, sprang wieder in die Höhe und sah sich gehetzt um.
    Er war nahezu im Zentrum der Kämpfe. Fast alle Häuser ringsum lagen in Trümmern oder brannten, und nur zwei oder drei Straßen weiter schien eine ganze Granatensalve einzuschlagen. Er spürte, wie der Boden unter seinen Füßen erzitterte, noch ehe er das dumpfe Grollen der Explosionen hörte und die schwarzen Rauchwolken sah, die sich in den Himmel wälzten. Er mußte hier weg!
    Aber wohin? Die Truppen der Aufständischen hatten die Stadt nahezu überrannt, und der Kessel schien mittlerweile endgültig geschlossen zu sei n. Für ihn bedeutete das den na hezu sicheren Tod. Er hatte diesmal auf das falsche Pferd gesetzt und sich mit seiner Berichterstattung ganz offen auf die Seite der Regierungstruppen gestellt - als es noch so aussah, als behielten sie die Oberhand. Wieder hämmerte das Maschinengewehr, und diesmal kam es ihm so vor, als wäre es merklich näher. Mogrod sah sich wild um. Er brauchte ein Versteck, irgendein Loch, in dem er sich verkriechen konnte, bis das Schlimmste vorüber war.
    Er sah kein Versteck, aber dafür den Panzer.
    Es war ein veraltetes Modell russischer Bauart, das rumpelnd auf seinen rostigen Ketten um die Ecke kam und sich trotz seines sichtlichen Alters mit erschreckender Schnelligkeit bewegte. Der Turm mit dem kurzen, dicken Geschütz drehte sich unentwegt von rechts nach links und wieder zurück, als suche er gierig nach einem Ziel - und richtete sich dann genau auf ihn!
    Mogrod fuhr herum und rannte im Zickzack die trümmerübersäte Straße entlang. Hinter ihm heulte der Motor des Tanks auf wie ein wütendes Raubtier, und er konnte hören, wie die breiten Ketten das Straßenpflaster zerrissen. Wie schnell fuhr ein Panzer? Vierzig, fünfzig Stundenkilometer? Egal. Auf jeden Fall schneller, als er laufen konnte. Gehetzt sah Mogrod über die Schulter zurück und erkannte, daß sein V orsprung bereits auf weniger als die Hälfte zusammengeschrumpft war.
    Irgend etwas hämmerte dumpf und sehr schnell, und eine Stimme rief seinen Namen: »Herr Mogrod? Ist alles in Ordnung mit Ihnen? Brauchen Sie Hilfe?«
    Mogrod stolperte weiter, wich hakenschlagend einem Wagen aus, der auf vier platten Reifen am Straßenrand stand, und wartete auf das Krachen der Kanone oder eine MG-Salve, die ihn zwischen die Schulterblätter traf. Doch der Panzerfahrer hatte offenbar nicht vor, kostbare Munition zu verschwenden. Statt dessen heulte der Motor noch schriller auf, und der Hundert-Tonnen-Koloß machte einen regelrechten Satz. Er machte sich nicht die Mühe, dem Wagen auszuweichen, sondern walzte ihn einfach platt.
    Wieder ertönte das Hämmern, und diesmal klang die Stimme schrill: »Herr Mogrod! Was ist denn da drinnen nur los? Ich schlage jetzt

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