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Azrael

Azrael

Titel: Azrael Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heather Killough-Walden
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presste, und hoffte, irgendwie zu zielen. Verzweifelt bemühte sie sich, von seinem schrecklichen Gewicht behindert.
    Blitze flammten auf, und sie spürte, wie der Abzug unter ihrem Finger nachgab. Schmerzhaft traf der Rückstoß der Waffe ihre Hand. Über ihr erschlaffte der Pflegevater. Wahnsinn trübte ihr Gehirn, eine bedrückende Hysterie klebte an ihrem Gaumen wie ein kalter Löffel. Was sie tat, war ihr kaum bewusst, als sie den schweren Körper von sich wälzte und aufstand. Neue Blitze zuckten, weißes Licht löschte die Welt aus, und Sophie sah nichts mehr.
     
    »Sophie?«
    Da stimmte irgendetwas nicht. Unablässig krachte der Donner außerhalb der Höhle, Gesteinsbrocken prasselten wie Miniaturwasserfälle von den Wänden auf den Steinboden, den ein Erdbeben erschütterte.
    Obwohl sie ihn anstarrte, sahen ihre Augen ihn nicht mehr. Stattdessen schienen sie durch ihn hindurchzuschauen. Aus ihren Wangen war alle Farbe gewichen, und sie biss die Zähne nicht mehr zusammen. Ihr Mund öffnete sich, ihr Kinn sank leicht herab, sie entspannte ihre Hände, die sie geballt hatte.
    Die Stirn gefurcht, trat Azrael näher zu ihr. Diesmal wich sie nicht zurück, ein erstes Alarmzeichen. »Sophie?« Er legte einen Finger unter ihr Kinn und hob langsam ihr Gesicht.
    Nun schwankte sie wieder, und er hielt ihren Arm fest. Blicklos starrte sie vor sich hin, und da merkte er, dass sie nicht mehr bei ihm war. In ihren schönen Augen flackerte das unverkennbare Dunkel krassen Entsetzens, dann würgte sie einen winzigen verräterischen Laut hervor. Ein Wimmern.
    Az fluchte stumm und bestürmte sie mit seiner durchdringenden Magie. Rasch und zielstrebig wollte er ihr komplexes Gehirn überfallen, was ihn gewaltige Mühe kostete und sofort schwächte. Sophies Macht war unglaublich schnell gewachsen, das Labyrinth ihrer Erinnerungen verschlungener denn je.
    Irgendwo darin musste sie gefangen sein, zweifellos an einem schrecklichen Ort, den sie nicht nur vor ihm verbarg, sondern auch vor ihrem eigenen Bewusstsein. Um ihren Verstand zu retten. Während Azrael behutsam in ihr Unterbewusstsein eintauchte, spürte er die Tintenschwärze des Grauens, das seinen Geist umgab.
    In der realen Welt hob er Sophie hoch, setzte sich mit ihr aufs Bett und umarmte sie. Seine Augen brannten, sein Körper strahlte eine gewaltige Magie aus, die von den Fackeln und dem Kaminfeuer reflektiert wurde. Zu entfesseltem, unnatürlichem Leben angestachelt, vollführten die Flammen wilde Tänze, die das Gewitter oberhalb der Höhle nachahmten.
    Und in Sophies Gehirn stand Azrael zwischen Grabsteinen, Nebelschleier umrankten seine Beine und verhüllten seine Stiefel.
    Nein. Nicht hier. Nicht schon wieder.
    Böse Ahnungen durchführen ihn, die Seelen der Toten erkannten den Herrscher, der einst auf dem Thron gesessen hatte. Schon ihre Vorfahren hatten in seine Augen geschaut und waren aus dieser Welt in eine andere gereist. Als Kinder, Mütter oder Söhne, fast immer unfreiwillig. An diesen Zwang erinnerten sie sich.
    Deshalb betrat Az nur selten Friedhöfe. Wenn die Geister ruhten, blieb er unerkannt. Aber manchmal verriet ihn etwas und entlarvte seine Identität.
    Diese Schwäche hatte Samael entdeckt und gegen den einstigen Todesengel ausgenutzt – im Kampf mit Uriel um Eleanore. Auf einem Friedhof hatte Sam die Geister geweckt, auf Azraels Anwesenheit hingewiesen und die Schlacht zu seinen Gunsten beeinflusst.
    In der Region zwischen Diesseits und Jenseits waren die Toten am mächtigsten, zwischen der Vergangenheit und dem Nichtvorhandensein. In diesem Zustand schienen sie das endgültige Aus zu erahnen und waren verzweifelt. Wenn sie erwachten, ihn sahen und erkannten, konnte das eine Katastrophe heraufbeschwören.
    Az war ohnehin schon geschwächt, weil ihn die Reise durch Sophies Gehirn sehr viel Energie gekostet hatte. Sogar im Unterbewusstsein schien sie ihn zu bekämpfen.
    Und jetzt – bewahrheiteten sich seine Befürchtungen. Zahlreiche Wesen attackierten ihn, die Toten lasteten auf seiner Seele. Wütend zerrten sie mit ihren winzigen Fäusten am Mantel seines Geistes und versuchten, ihn in die Tiefe zu ziehen.
    Azraels Reißzähne wuchsen, als er sich einmal um die eigene Achse drehte und sein glutvoller Blick über den Friedhof schweifte. Hier musste Sophie irgendwo sein, er spürte ihre Nähe, einen Hauch von Wärme in all der Kälte. Er musste sie finden. Möglichst bald.
    Vom hartnäckigen Nebel gedämpft, unterbrach ein Schrei seine

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