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Azrael

Azrael

Titel: Azrael Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heather Killough-Walden
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Orten, und er blieb stets der Todesengel.
    Nun sah er das Phantom zu Sophie gleiten. Es ging dahin, als würde es auf dem Boden einen Fuß vor den anderen setzen. Doch diese Füße berührten die Erde nicht, sondern schwebten ein paar Zoll darüber, in einem flinken Tempo, das den ungelenken Gang Lügen strafte.
    In Azraels Körper spannten sich alle Muskeln an, das Monster in ihm übernahm die Kontrolle, mit Fängen und Klauen und gierigem Hunger. Das Phantom streckte seine weiße, runzlige, halb stoffliche Hand aus, die durch Sophie hindurchglitt, aber keine Wunde verursachte, keine Zerstörung. Stattdessen sank sie einfach nur zu Boden.
    Die Waffe fiel aus ihrer Hand ins feuchte Gras, rutschte den Hang hinab und blieb liegen. Dann trat das Phantom zu dem erschossenen Pflegevater und sah auf ihn hinab. Was nun geschah, hätte jedem Sterblichen einen frostigen Schauer über den Rücken gejagt. Lachend warf die Kreatur ihren Kopf in den Nacken. Dieses Gelächter glich dem Geräusch von Fingernägeln, die über eine Schiefertafel schabten, noch verstärkt von der hohlen, bösartigen Stimme des Ungetüms.
    Wie rasend hämmerte Azraels Herz, qualvoll wehrte sich sein Körper gegen die lähmende Wirkung von Sophies Erinnerung. Doch er konnte nichts weiter tun, als das Phantom zu beobachten, das den Kopf senkte und über den Toten hinwegstieg. Dann löste es sich in Nebel auf, aus dem es zu bestehen schien, und hüllte Harveys Leiche ein. Ein paar Sekunden später lichtete sich der Nebel – und der Tote war verschwunden. Nur ein paar letzte helle Schleier zogen über den Green-Wood Cemetery davon.

18
    Als Azrael zu sich kam, lag er neben Sophie auf seinem Bett. Ihr goldenes Haar fiel auf seine Brust und die schwarze Satinsteppdecke. Feurig brannten seine Augen, die Fänge schmerzten im Kiefer, unkontrollierbar bebte sein Körper vor Verlangen. Noch immer war seine Seelengefährtin bewusstlos. Und er stand Höllenqualen aus.
    Nur zweimal in seinem Erdendasein hatte er sich so schwach gefühlt und so begierig nach Blut gehungert. Seit seinen ersten leidvollen Momenten auf diesem Planeten waren zwanzig Jahrhunderte verstrichen. So lange hatte er Zeit gehabt, die grausigen Effekte seiner Verwandlung zu verwinden. Das war kaum genug gewesen. Zum zweiten Mal hatte er die Pein vor einigen Monaten erduldet. Samael hatte ihn auf dem Friedhof in einen Bann gezogen, die Geister geweckt und bewogen, an der Seele des Todesengels zu zerren. Für die Genesung hatte Azrael mehrere Tage und sehr viele Mahlzeiten benötigt.
    Jetzt kehrte der Schmerz zurück. Geschmeidig stand Az auf und zwang sich, vom Bett zurückzutreten. Sein ganzer Körper pochte, und er fühlte die Leere in seinen Adern, als würden sie vertrocknen und zerbröckeln. In allen Fasern seines Leibes spürte er die Tortur.
    Sophie bewegte sich auf dem Bett und drehte den Kopf in Azraels Richtung. Im Schlaf runzelte sie die Stirn. Dann glättete sich ihr schönes Gesicht, als hätte sie inneren Frieden gefunden.
    Langsam glitt Az’ Blick von ihren vollen Lippen zu dem runden Kinn, zu den anmutigen Konturen ihres schlanken Halses. Er hörte ihre Herzschläge, die leisen Atemzüge, roch die verlockende Versuchung ihres Blutes, das unschuldig dahinfloss und in den Adern ihrer Kehle wartete.
    Schon vorher hatte er sie begehrt. In der Bucht, beim Eishockeyspiel, als er sie im Schlaf in ihrer Wohnung in Pittsburgh beobachtet hatte. Bei der Hochzeit, im Restaurant, auf dem Pier, auf der Uferpromenade, wo sie die Vögel gefüttert hatte. Seit sie als Brautjungfer neben ihrer besten Freundin am Altar gestanden hatte, wollte Azrael ihr Blut kosten.
    Und jetzt würde er sie in Besitz nehmen. Er neigte sich über seinen Sternenengel. Da erklangen Schritte hinter ihm im Dunkel.
    »Bitte glaub mir, mein König, wenn ich dir versichere, dass du es nicht tun willst.«
    Von der Macht des alten Vampirs eingehüllt, erstarrte Az. Nur Uro konnte ihm durch die Schatten folgen, nur Uro kannte diese Höhle.
    Zögernd richtete Azrael sich auf, die Schmerzen entfesselten wilden Zorn in ihm. Nun war er ganz und gar ein Monstrum, nichts anderes erfüllte ihn. Mochte Uro auch sein ältester, bester Freund sein – er stand zwischen Az und einer Sehnsucht, die er so dringend stillen wollte wie sonst nichts in den Äonen seiner wertlosen Existenz. Herausfordernd wandte er sich zu dem dreisten Vampir. »Sollen wir wetten?«
    Keine Vorwarnung, keine Worte, die Zeit vergeudet hätten. In der Mitte der

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