Azraels Auftrag (German Edition)
sagte sie und deutete auf seinen linken Unterarm.
„Was? Och das!“ Carlos’ Arm zuckte hinter seinen Rücken.
Kindisch!
„Ja, das! Weißt du, ich schreibe ein bisschen.“
Eleeya kam ein Stück näher und versuchte, einen Blick aufs Display zu werfen, doch er hatte seinen Arm bereits wieder angehoben. Ihre Augenbraue zuckte nach oben.
Der Wind, der vom Meer her wehte, trug das Geräusch der Brandung herauf.
„Na gut... Gedichte“, platzte es aus Carlos heraus. „Ich schreibe Gedichte. Eine bestimmte Art Gedichte. Sie nennen sich Tanka, das sind Vorläufer des japanischen Haikus! So, jetzt weißt du es!“
Eleeya drehte die Ohren nach vorne und legte den Kopf schief, ein sicheres Zeichen dafür, dass sie den Erklärungen nicht ganz folgen konnte.
In der Tat, dachte Carlos, das verriet ja noch gar nichts. Noch hatte er nichts über den Inhalt der Gedichte erwähnt.
„Du weißt, was ein Gedicht ist?“
Sie nickte.
„Also, diese Gedichte bestehen aus exakt fünf Zeilen. Mit genau festgelegtem Versmass. Fünf Silben, dann sieben, wieder fünf, sieben und fünf. Ob es sich reimt oder nicht spielt keine Rolle. Sinn und Zweck ist es, eine bestimmte Jahreszeit mit einem bestimmten Gefühl einzufangen. Das ist im Grunde alles.
„Das klingt interessant“, sagte sie und warf einen Blick auf das Display. Um etwas besser sehen zu können, kam sie einen Schritt näher und drehte ihm den Rücken zu.
„Zeigst du mir mal eins?“ fragte sie.
Carlos begann zu schwitzen. Jetzt war es so weit. Er hatte sich lächerlich gemacht. Er würde sich bis auf die Knochen blamieren.
Egal.
Carlos tippte schnell ein paar Mal auf das Zurückblättern Symbol.
„Klar doch“, erklärte er mit schwacher Stimme. „Das hier zum Beispiel!“
Eleeya ergriff mit ihrer linken Hand seinen Unterarm und führte das Display näher heran. Sie stand nun keine zehn Zentimeter vor ihm, den Rücken zugewandt.
Carlos erkannte nicht, dass sie das Display auch gut von einem anderen Standpunkt aus hätte ablesen können.
Sie drehte ihr Gesicht zu Carlos und lächelte ihn an.
Carlos wollte am liebsten weglaufen, oder zumindest im Boden versinken und lächelte verkrampft zurück.
Dann schaute sie zurück aufs Display.
„Ziemlich kleine Buchstaben!“ Eleeya zog Carlos’ Handgelenk näher heran. Gerade eben noch hatte er daran gedacht, die Schriftgröße zu ändern, entschied sich aber schnell dagegen.
„Ja, es geht!“
Eleeya schaute wieder aufs Display. Mit melodiöser Stimme las sie leise vor:
Am Himmel wandert
Das fahle Licht des Mondes
Über das Schallmaar
Die Frau, die ich gesehen,
War mir im Traum erschienen.
Es erfolgte eine kurze Pause. Dann drehte sie ihr Gesicht wieder zu Carlos und lächelte: „Ich verstehe, was du meinst. Das ist schön. Sehr schön.“
Carlos verzog sein Gesicht zu einem verkrampften Lächeln.
Diese Augen. Waren sie noch großer als sonst?
„Och, na ja, ich weiß nicht...“
„Nein, im Ernst, das ist schön! Bitte, zeig mir noch eins!“
Carlos wollte hastig an den entsprechenden Regler tippen, doch er erkannte im letzten Moment, dass ja Eleeya direkt vor ihm stand.
Carlos griff mit seiner rechten Hand um Eleeya herum. Irgendetwas stimmte mit seinem Blutdruck nicht. Sein Herz raste und er spürte ein Klopfen im Hals.
Eine kurze Windböe wehte ein paar weiße Haarsträhnen in sein Gesicht.
„... das da,... das da vielleicht noch. Wenn du möchtest!“
Ein weiteres Lächeln in seine Richtung sollte wohl ja heißen.
Wieder formten Eleeyas Lippen die Worte, die auf dem holgraphischen Display standen:
„ Zwei - leuchten am Tag,
Umrahmt von weißen Strahlen.
Die Kraft ist so stark -
selbst Wolken sie nicht trüben.
Wären sie nachts noch da!“
Irgendwie hatte Carlos den Eindruck, als würde Eleeya nun noch näher stehen.
„Ooh,... ein Gedicht über die beiden Sonnen Uvellar und Denaan! Wie schön!“
Carlos gab hierzu keinen einzigen Kommentar und verlor sich in den Tiefen ihrer Augen. Wie sie leuchteten! Umrahmt von weißen Strahlen.
Eine Brise, die vom Meer herüberkam, spielte mit ihren Haaren.
„Ich wusste gar nicht, dass du so was kannst!“ Eleeyas zauberhaftes Lächeln wandte sich wieder an Carlos.
Eine stärkere Böe folgte, und eine tiefe Stimme flüsterte direkt neben Carlos’ Ohr:
„Hmm, ja, das ist wirklich sehr, sehr schön!“
Eleeya schreckte herum.
„AZRAEL!“
Auch Carlos war zusammengezuckt. Er hatte das Gefühl, dass sein Herz
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