Azulamar: Der Erbe von Atlantis (German Edition)
in seinem Leben verantwortlich machte.
Aries bewachte mich mit Argusaugen, obwohl das nicht mehr nötig gewesen wäre, seitdem ich den Armreif trug. Meine Fähigkeiten waren so eingeschränkt, dass ich manchmal glaubte, die nächste Bewegung oder den nächsten Atemzug nicht mehr ausführen zu können. In solchen Momenten wusste ich, dass Alastair nahe war und dass seine Wut über meine Ablehnung gerade wieder hochkochte.
Ein weiterer Tag neigte sich dem Ende zu, und die weiße Regenbogenstadt nahm einen kühleren, bläulichen Schimmer an. Ich ahnte nur, dass in unendlicher Höhe über mir die Sterne begannen, sorglos zu blitzen. Mir wurde klar, dass ich noch nie in meinem Leben eine Sternschnuppe gesehen hatte, dass ich niemals einen einjährigen Segelausflug gemacht hatte, niemals in Asien gewesen war und meinen Eltern nicht gesagt hatte, dass ich sie liebte. Für sie war ich wahrscheinlich gestorben – denn das war es wohl, was Gregory ihnen gesagt hatte. Mein Vater war natürlich auch in Gefahr, denn er wusste zum Teil von der Wahrheit.
Hilflos, von Wut übermannt, stemmte ich mich gegen die Gitterstäbe, die mich mit ihrer simplen Unnachgiebigkeit von dem trennten, was ich mehr begehrte und ersehnte als alles andere.
Die Knöchel meiner Hände traten weiß hervor, so fest drückte ich zu.
»Gibst du immer noch nicht auf?«, hörte ich Aries hinter mir sagen. Er schien sich nicht recht entscheiden zu können, ob er spotten oder besorgt sein sollte.
»Hast du gesehen, dass ich tot zusammengebrochen bin?«, fragte ich und drehte mich halb zu ihm um.
Er legte die Stirn in Falten, verstand nicht, was ich meinte: »Nein.«
»Und bis das nicht geschehen ist, werde ich auch nicht aufgeben«, erklärte ich ihm mit fester Stimme. Erschöpft lehnte ich mein Gesicht gegen zwei Gitterstäbe und starrte wieder nach oben.
»Er könnte dir die Kontrolle über deinen Körper ganz entziehen, und über deine Seele noch dazu. Er könnte
alles
tun. Und doch fügst du dich nicht in dein Schicksal?«, hakte Aries nach, dem meine Logik vollkommen fremd war. »Hast du keine Angst?«
»Die Angst bringt mich fast um«, gestand ich mit einer Ruhe, die ich nicht besaß, »Aber wenn ich nicht irgendwie weitermache, dann werdeich daran zugrundegehen. Dann gibt es keinen Willen mehr, den Alastair brechen könnte.«
Aries schwieg, und als ob er mich nun ein wenig mehr respektierte, nahm er Abstand und verließ den Raum. Ich war mir jedoch ziemlich sicher, dass er direkt neben der Tür seinen Posten halten würde.
Die Stunden glitten durch meine Finger hindurch. Ich dämmerte vor mich hin, in einer unbequemen Position am Gitter liegend.
Dann, ganz plötzlich und unerwartet, geschah etwas.
Es fühlte sich an, als hätte mich jemand sanft wachgerüttelt.
Ich zuckte zusammen und blickte mich hastig um, doch niemand war zu sehen. Dann kam mir der Gedanke, dass das, was mich berührt hatte, vielleicht gar nicht körperlich da war, sondern nur in mir drin. Leise lauschte ich auf mich selbst. War es Alastair, der durch seinen Einfluss Kontakt zu mir aufnahm? Nein. Er war es auf keinen Fall. Ich hatte ihn in all den Tagen noch nie so sehr
nicht
gespürt.
Aber … konnte es sein, dass …?
Ich fuhr mir nervös mit der Zunge über die Lippen. Da! Schon wieder! Es war nur eine flüchtige Berührung, als blitze mitten in der Dunkelheit meiner verlorenen, gefangenen Seele ein Lichtstreif auf. Und es war absolut positiv …
Intuitiv sammelte ich meine Energie zusammen, um einen Schutzwall vor Alastair zu errichten. Ich musste ihn aus meinem Innersten aussperren, nur für eine kurze Zeit, und durfte ihn dabei nicht provozieren, denn sonst würde er schneller angreifen, als ich auch nur an Rettung denken konnte. Stück für Stück baute ich meine unsichtbare Mauer in Gedanken auf, verriegelte den Kern meines Unterbewusstseins sorgfältig und hüllte mich in einen Mantel aus Müdigkeit und Verzweiflung, um Alastair in Sicherheit zu wiegen.
Erst dann öffnete ich mich ganz der Berührung, die ich soeben gefühlt hatte. Aus den Nebelschwaden meiner Seele tauchte eine verschwommene Gestalt auf, bei deren Anblick ich am liebsten vor Freude geweint hatte.
Es war ein junger, schlanker Mann, sehnig und hünenhaft groß. Langes, goldschimmerndes Haar umrahmte sein maskulin geschnittenes Gesicht. Den festen Blick aus seinen stahlblauen Augen hielt er heroisch in die Ferne gerichtet, bis er mich fand. Seine Lippen erkämpften sich ein Lächeln,
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