Azurblaue Gewalt (Carla, John und Franklyn)
Arm. Sie hatte keine Chance, auch nur eine winzige Reaktion aus ihm herauszulocken.
Aber jetzt, als der vermutliche Täter mit seinem Auto davon schoss, bewegte sich John. Er drehte sich um und stellte plötzlich fest, dass Carla neben ihm stand.
„Hallo Carla, wo kommst du denn plötzlich her? So eine tolle Überraschung! Stehst du schon länger hier?“
Erstaunt blickte Carla ihn an. „Was ist los mit dir? Die ganze Zeit rede ich auf dich ein, aber du ignorierst mich komplett. Jetzt, als es zu spät ist, merkst du plötzlich, dass deine Freundin neben dir steht. Hast du Drogen genommen?“
Völlig erstaunt über Carlas Reaktion betrachtete John seine Freundin. „Warum schimpfst du mit mir? Und warum schleichst du dich von hinten an?“
„Ich habe mich nicht von hinten angeschlichen. Ich stehe bereits seit ein paar Minuten neben dir und rede auf dich ein, wie auf einen sturen Esel. Dort hinten ist vermutlich gerade ein Mord passiert. Hast du das mitbekommen?“
„Nein, das kann nicht sein. Das hätte ich doch ges ehen“, antwortete John nicht besonders interessiert.
„Das darf doch nicht wahr sein, du hast nichts davon mitbekommen? Erst knallte es, anschließend rannte ein Mann mit einer vorgehaltenen Waffe in ein Auto. Er fuhr wie ein Verrückter davon, und du siehst das nicht, obwohl du die ganze Zeit dort hingesehen ha st?“
„Carla, erzähl doch nicht so einen Unsinn. Sieh doch mal, dort hinten ist gar nichts passiert. Alles ist in Or dnung.“
Carla verstand die Welt nicht mehr. Wie konnte ihr Freund einen Mord beobachten und anschließend behau pten, dass alles in Ordnung sei? Wie konnte er behaupten, er hätte gar nichts davon miterlebt? Carla war schwer enttäuscht von ihrem Freund, von dem sie glaubte, sie würde ihn kennen.
Da Carla das Fluchtfahrzeug sehr gut beschreiben konnte und sich auch an diverse Details des Täters erinnerte, wollte sie diese Informationen auf jeden Fall an die Polizei weitergeben. Erst jetzt stellte sie sich die Frage, warum sie sich nicht in das Gehirn des Mörders eingeloggt und ihn zur Aufgabe gezwungen hatte. Ohne Mühe hätte sie ihn dazu bewegen können. Verflucht. Vermutlich lag es daran, dass sie über diese Fähigkeit in der Regel nicht verfügte. Fähigkeiten, die selbstverständlich sind, setzte sie auch ein. Fähigkeiten, die äußerst ungewöhnlich sind, vergaß sie in einer Notsituation. Im Nachhinein ärgerte sie sich häufig darüber, sie nicht benutzt zu haben.
„John, egal, was mit dir los ist oder war, ich werde jetzt sofort zur Polizei gehen und denen berichten, was ich weiß. Vielleicht kann ich im Nachhinein wenigstens bewirken, dass der Täter gefasst wird. Du scheinst ja nicht zu verstehen, von was ich rede.“
Völlig sprachlos sah John seine Freundin an, machte aber keine Anstalten, sie zu begleiten. Carla hingegen wollte sich gerade auf ihr Fahrrad setzen, als ein Polizeifahrzeug mit heulenden Sirenen angeschossen kam und direkt vor der Menschentraube anhielt. Carla fuhr ihr Fahrrad zur gleichen Stelle. Fast zeitgleich traf sie am Tatort ein. Die Menschentraube teilte sich plötzlich, um den Polizeibeamten Platz zu machen. Tatsächlich gab es noch einen gewissen Respekt vor der Staatsgewalt.
Die blutüberströmte Person schien sehr interessant, aber doch sehr angsteinflößend zu sein, andernfalls hätte jemand der Passanten sicher versucht, erste Hilfe zu leisten oder zumindest festzustellen, ob man noch helfen konnte. War der Mann wirklich tot, oder lebte er doch noch? Niemand machte den Eindruck, als wollte er es genauer wissen.
Carla stieg zitternd vom Fahrrad ab. Fast wäre sie dabei hingefallen, so sehr zitterten ihre Beine. Als sie einen freien Blick auf die Leiche hatte, merkte sie, wie ihr plötzlich die Sinne schwanden. Schnell musste sie ihren Blick abwenden. Dem getöteten Mann war der komplette Hinterkopf weggeschossen. Sein Kopf erweckte den Eindruck, als wäre er in den Pflastersteinen des Fußwegs versunken. Er lag viel zu tief, um noch komplett zu sein. Sein Gesicht wies in Richtung Himmel. Seine Augen waren noch geöffnet, als würde er noch leben. Auf seiner Stirn konnte sie das Einschussloch erkennen. Es war ein riesiger Krater. Erst jetzt sah sie, dass in Schussrichtung hinter dem Mann, als er noch gestanden hatte, jede Menge Blut und Hirnmasse über Fahrzeuge und Wände verteilt klebte. Blutstropfen rannen um die Wette in Richtung Fußboden. Carla verspürte jetzt noch mehr Übelkeit und wandte sich sofort
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