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Titel: B00B5B7E02 EBOK Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Susan Cain
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unzugänglich war. Gandhi war aufgebracht. Er wusste sehr wohl, dass das wahre Motiv der Gesellschaft Diskriminierung war. Aber er zeigte seine Gefühle nicht nach außen. Vielmehr verhandelte er geduldig, bis die Juristische Gesellschaft sich darauf einließ, eine eidesstattliche Erklärung von einem örtlichen Würdenträger anstelle des Originals zu akzeptieren.
    An dem Tag, als er den Amtseid ablegen wollte, ordnete der Präsident des Obersten Gerichtshofs an, dass er seinen Turban abnehmen müsse. Gandhi kam an seine Grenzen. Ihm war klar, dass Widerstand berechtigt war, aber er wollte sich seine Kräfte für andere Kämpfe aufsparen, also nahm er seinen Turban ab. Seine Freunde waren außer sich. Sie sagten, er sei schwach und hätte für seine Überzeugungen eintreten sollen. Aber Gandhi wusste, dass er gelernt hatte, »die Schönheit des Kompromisses anzuerkennen«.
    Würden wir diese Geschichten hören, ohne dass Gandhis Name und seine späteren Errungenschaften erwähnt würden, würden wir ihn möglicherweise für einen zutiefst passiven Menschen halten. Im Westen gilt Passivität als Vergehen. »Passiv« bedeutet nach einer Definition des Merriam-Webster-Wörterbuchs, »dass eine äußere Kraft auf jemanden einwirkt«. Es bedeutet auch, »unterwürfig« zu sein. Gandhi selbst lehnte den Begriff »passiver Widerstand« letztlich ab, weil er ihn mit Schwäche in Verbindung brachte, und zog Satyagraha vor, einen von ihm geprägten Begriff, der »Festigkeit im Verfolgen der Wahrheit« bedeutet.
    Wie das Wort Satyagraha impliziert, war Gandhis Passivität keine Schwäche, sondern die Konzentration auf ein höheres Ziel und die Weigerung, Energie auf unnötige Scharmützel auf dem Weg zu verschwenden. Selbstbeherrschung, glaubte Gandhi, sei einer seiner größten Vorzüge, und sie hatte sich aus seiner Schüchternheit entwickelt. Er schrieb:
    Ich habe mir ganz von selbst angewöhnt, meine Gedanken zu beherrschen. Es ist kaum vorgekommen, dass meinem Mund oder meinem Stift je ein unbedachtes Wort entschlüpft ist. Die Erfahrung hat mich gelehrt, dass Schweigen Teil der spirituellen Disziplin eines Anhängers der Wahrheit ist. Es gibt so viele Menschen, die darauf brennen zu sprechen. All dieses Gerede ist der Welt kaum von Nutzen. Es ist reine Zeitverschwendung. Meine Schüchternheit war in Wirklichkeit mein Schutz und Schild. Sie hat mir erlaubt zu wachsen. Sie hat mir geholfen, die Wahrheit zu erkennen.

    Die Macht der Sanftmut ist nicht auf moralische Belange wie bei Mahatma Gandhi beschränkt. Bedenken Sie beispielsweise das große Aufsehen, das die Stärke von Asiaten in Bereichen wie Mathematik und Naturwissenschaften erregt. Professor Ni definiert sanfte Macht als »stille Beharrlichkeit«, und dieses Wesensmerkmal liegt akademischen Spitzenleistungen genauso eindeutig zugrunde wie Gandhis politischen Triumphen. Stille Beharrlichkeit erfordert kontinuierliche Aufmerksamkeit – die Beherrschung der eigenen Reaktionen auf äußere Reize.
    Der TIMMS-Test ist ein standardisierter Test in Mathematik und Naturwissenschaften, der seit 1995 alle vier Jahre an Kinder in der ganzen Welt verteilt wird. 13 Nach jedem Test nehmen Wissenschaftler eine multidimensionale Analyse der Daten vor und vergleichen das Abschneiden der Schüler aus verschiedenen Ländern. Schüler aus asiatischen Ländern wie Korea, Singapur, Japan und Taiwan stehen ständig an der Spitze. 1995 beispielsweise, dem ersten Jahr, in dem der TIMMS-Test durchgeführt wurde, erzielten Korea, Singapur und Japan im Durchschnitt die höchsten Mathematikpunkte in der Mittelstufe weltweit und waren in den Naturwissenschaften unter den ersten vier. Als die Wissenschaftler 2007 maßen, wie viele Schüler in einem bestimmten Land den »Advanced International Benchmark« – eine Art Hochleistungsstatus für Matheschüler erreichten –, stellten sie fest, dass die meisten Spitzenschüler sich auf nur wenige asiatische Länder konzentrierten. Etwa 40 Prozent der Viertklässler in Singapur und Hongkong erreichten oder übertrafen den Richtwert, und etwa 40 bis 45 Prozent der Achtklässler in Taiwan, Korea und Singapur schafften ihn. Weltweit lag der mittlere Prozentsatz von Schülern, die diesen Richtwert erreichten, nur bei 5 Prozent in der vierten und 2 Prozent in der achten Klasse.
    Wie lässt sich diese sensationelle Leistungsdifferenz zwischen Asien und der übrigen Welt erklären? Beim TIMMS-Test gibt es eine interessante Begleiterscheinung. Wenn man

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