B00B5B7E02 EBOK
einen so unordentlichen Raum nicht schön, nicht wahr?«
Die Kinder signalisieren Zustimmung.
»Heute werden wir das Problem angehen – gemeinsam«, sagt die Lehrerin.
Sie teilt die Klasse in drei Gruppen von jeweils sieben Kindern ein: eine »Legislative«, die die Aufgabe hat, ein Gesetz zu entwerfen, das das Verhalten beim Mittagessen regelt, eine »Exekutive«, die entscheiden muss, welche Maßnahmen zur Einhaltung des Gesetzes ergriffen werden sollen, und eine »Judikative«, die sich Strafen für unordentliche Kinder ausdenken soll.
Die Kinder teilen sich begeistert auf und setzen sich in drei Gruppen zusammen. Es ist nicht nötig, Mobiliar zu rücken. Da ein Großteil des Lehrplans auf Gruppenarbeit ausgerichtet ist, sind die Tische bereits in Rechtecken mit jeweils sieben Tischen zusammengeschoben. Im Klassenzimmer macht sich fröhlicher Lärm breit. Einige der Kinder, die während des zehnminütigen Vortrags furchtbar gelangweilt wirkten, schwatzen jetzt munter mit ihren Kameraden.
Aber nicht alle. Wenn man die Klasse als Ganzes betrachtet, wirkt sie wie ein Raum voller fröhlich herumhüpfender Welpen. Aber wenn man sich auf einzelne Kinder konzentriert – wie Maya, eine niedliche Rothaarige mit einem Pferdeschwanz, einer Nickelbrille und einem verträumten Gesichtsausdruck –, bekommt man einen völlig anderen Eindruck.
In Mayas Gruppe – »der Exekutive« – reden alle durcheinander. Maya hält sich zurück. Samantha, groß und dick in einem lila T-Shirt, übernimmt die Führung. Sie holt einen Frühstücksbeutel aus ihrem Ranzen und verkündet: »Wer den Frühstücksbeutel hat, darf reden!« Die Kinder geben den Frühstücksbeutel herum, und jedes steuert einen Gedanken bei. Diese Plastikbeutel-Methode ist eine großartige Idee. Sie erinnert mich an die Kinder in dem Roman Der Herr der Fliegen , die zivilisiert eine Muschel kreisen lassen, zumindest bis die Hölle losbricht.
Maya sieht verängstigt aus, als sich der Plastikbeutel ihr nähert.
»Ich stimme zu«, sagt sie und reicht den Plastikbeutel wie eine heiße Kartoffel an das nächste Kind weiter.
Die Tüte macht mehrmals am Tisch die Runde. Jedes Mal gibt Maya sie an das Kind neben ihr weiter und sagt nichts. Schließlich ist die Diskussion beendet. Maya sieht betrübt aus. Ich vermute, es ist ihr peinlich, dass sie nicht mitgemacht hat. Samantha liest aus ihrem Notizbuch laut die Reihe der Maßnahmen zur Einhaltung des Gesetzes vor, die die Gruppe vorgeschlagen hat.
»Regel Nr. 1«, sagt sie. »Wer gegen das Gesetz verstößt, hat keine Pause.«
»Halt«, unterbricht Maya, »ich habe eine Idee.«
»Schieß los«, sagt Samantha ein bisschen ungeduldig, obwohl man sieht, dass sie sich bemüht, freundlich zu sein. Aber Maya, die wie viele Introvertierte schon das leiseste Signal der Missbilligung aufzufangen scheint, bemerkt die Schärfe in Samanthas Stimme. Sie senkt die Augen und macht den Mund auf, um zu sprechen, doch es kommt nur etwas Weitschweifiges und Unverständliches heraus. Niemand kann sie hören. Niemand bemüht sich darum. Die Coolste in der Gruppe – Lichtjahre entfernt von den anderen mit ihrer aufreizenden Art und ihrer modischen Kleidung – gähnt auffällig. Maya hört verwirrt auf zu sprechen, und das coole Mädchen sagt: »So, Samantha, du kannst jetzt die Regeln weiter vorlesen.«
Die Lehrerin bittet die Exekutive, ihre Arbeit vorzustellen. Alle wollen zu Wort kommen – alle bis auf Maya. Samantha übernimmt wie üblich die Führung, und ihre Stimme übertönt die übrige Gruppe, bis alle verstummen. Ihr Bericht ergibt nicht viel Sinn, aber sie ist so selbstsicher und gutmütig, dass es keine Rolle zu spielen scheint.
Maya kauert indessen am Rand der Gruppe und schreibt ihren Namen immer wieder in großen Druckbuchstaben in ihr Heft, als müsste sie sich wenigstens vor sich selbst ihrer Identität versichern.
Vor der Stunde hatte mir die Lehrerin erzählt, dass Maya eine intellektuell wache Schülerin sei, die sich beim Aufsatzschreiben hervortut. Sie ist eine talentierte Softball-Spielerin, und sie ist freundlich zu anderen und bietet Kindern, die beim Lernen zurückbleiben, Unterstützung an. Aber keine von Mayas positiven Eigenschaften ist an diesem Morgen sichtbar.
Alle Eltern wären betroffen bei der Vorstellung, dass dies die Erfahrung ist, die ihr Kind im Unterricht, im Umgang mit anderen und mit sich selbst macht. Maya ist ein introvertiertes Kind, sie ist fehl am Platz in einem
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