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überdies meistens auch noch die bekanntesten und selbstsichersten, genau die, die man in einem HBS-Seminar als natürliche Führungspersönlichkeiten betrachtet.
Das amerikanische Militär bezeichnet ein ähnlich geartetes Phänomen als »Bus nach Abilene«. »Jeder Offizier weiß, was das heißt«, sagte Colonel a. D. Stephen J. Gerras, Professor für Verhaltenswissenschaft am U.S. Army War College, dem Yale Alumni Magazine 2008. »Eine Familie sitzt an einem heißen Sommertag in Texas auf der Veranda und jemand sagt: ›Ich langweile mich. Warum fahren wir nicht nach Abilene?‹ Als sie in Abilene ankommen, sagt jemand anders: ›Eigentlich wollte ich gar nicht hierher.‹ Darauf ein Dritter: ›Ich auch nicht – aber ich dachte, du wolltest fahren‹, und so geht es weiter. Wenn Sie unter Soldaten sind und jemand sagt: ›Ich glaube, wir steigen gerade alle in den Bus nach Abilene‹, dann gehen alle roten Lampen an. Damit können Sie jedes Gespräch stoppen. Es ist eine wirksame Warnung in unseren Kreisen.«
Die Anekdote vom Bus nach Abilene offenbart unsere Tendenz, denjenigen zu folgen, die eine Handlung initiieren – ganz gleich welche. Auf ähnliche Weise neigen wir dazu, dynamischen Sprechern Macht zu geben.
Ein außerordentlich erfolgreicher Risikokapitalgeber, an den sich junge Firmen regelmäßig wenden, erzählte mir, wie frustriert er sei, dass seine Kollegen nicht zwischen guten Präsentationstalenten und echten Führungsqualitäten unterscheiden könnten.
»Ich finde es besorgniserregend, dass es Leute gibt, die Verantwortung übertragen bekommen, weil sie gut reden können, nicht weil sie gute Ideen haben«, sagte er. »Es ist so leicht, die Fähigkeit zu schwatzen, mit Talent zu verwechseln. Jemand scheint etwas gut darstellen zu können und ist angenehm im Umgang, und diese Eigenschaften werden belohnt. Weshalb nur? Das sind wertvolle Eigenschaften, aber wir prämieren das Darstellungsvermögen zu sehr und Substanz und kritisches Denkvermögen zu wenig.«
In seinem Buch Iconoclast untersucht der Neuroökonom Gregory Berns, was geschieht, wenn Firmen sich zu sehr auf Präsentationsfähigkeiten verlassen, um gute Ideen von Totgeburten zu unterscheiden. 8 Er beschreibt eine Software-Firma namens Rite-Solutions , die ihre Angestellten erfolgreich bittet, Vorschläge auf einem »Online-Ideenmarkt« einzubringen, damit die Substanz und nicht der Stil zum Zuge kommt. Joe Marino, Präsident von Rite-Solutions , und Jim Lavoie, Geschäftsführer der Firma, entwickelten dieses System als Reaktion auf Probleme, die sie anderswo erlebt hatten. »In meiner alten Firma«, erfuhr Berns von Lavoie, »sagte man jemandem, der eine gute Idee hatte: ›Wir machen für Sie einen Termin beim Mordgremium ‹ – das waren die Mitarbeiter, die neue Ideen auf Herz und Nieren prüfen sollten.« Marino schilderte, was dann passierte:
Ein Techniker kommt mit einer guten Idee. Es werden ihm Fragen gestellt, die er natürlich nicht beantworten kann. Beispielsweise: »Wie groß ist der Markt dafür? Worin besteht Ihr Marketingansatz? Wie sieht Ihr Geschäftsplan aus? Was wird das Produkt kosten?« Es ist peinlich. Die meisten Leute können solche Fragen nicht beantworten. Die Leute, die es in diese Gremien geschafft hatten, waren nicht die Leute mit den besten Einfällen. Es waren die, die am besten Präsentationen halten konnten.
Anders als es das an der Harvard Business School favorisierte Modell der wortgewandten Führung vermuten lassen würde, gibt es unter den effektiven Firmenchefs eine ganze Reihe Introvertierter, darunter Charles Schwab, Bill Gates, Brenda Barnes (Geschäftsführerin von Sara Lee) und James Copeland (ehemaliger Geschäftsführer von Deloitte Touch Tohmatsu). »Einige der effizientesten Führungspersönlichkeiten, mit denen ich im Laufe der letzten fünfzig Jahre zu tun hatte«, schreibt der Management-Guru Peter Drucker, »haben sich in ihrem Büro vergraben, während andere ultragesellig waren. Manche waren rasch und impulsiv, andere hingegen haben die Situation studiert und ewig gebraucht, um eine Entscheidung zu fällen… Das einzige Persönlichkeitsmerkmal, das die effizienten Leute, die ich kennengelernt habe, miteinander gemein hatten, war etwas, was ihnen fehlte: Sie hatten wenig oder kein ›Charisma‹ und konnten weder mit dem Begriff noch mit dem, was dahintersteckt, viel anfangen.« 9 Druckers Feststellung wird von einer neueren Untersuchung gestützt, die der Professor
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