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legten ihren Schwerpunkt auf Partnerarbeit und Kleingruppen-Interaktionen statt auf große Gruppen, und McHugh half den Studenten einen Rhythmus in ihrem Leben zu finden, der es ihnen erlaubte, sich das Alleinsein zu nehmen, das sie brauchten und genossen, und Energie übrig zu haben, um andere anzuleiten. Er hielt sie dazu an, sich mutig vor anderen zu äußern und beim Kennenlernen anderer Menschen etwas zu riskieren.
Als die sozialen Netzwerke im Internet ein paar Jahre später explosionsartig zunahmen und evangelikale Blogger anfingen, ihre Erfahrungsberichte ins Netz zu stellen, gab es endlich einen schriftlichen Beweis für die Spaltung von Introvertierten und Extravertierten innerhalb der evangelikalen Kirchen. Ein Blogger schrieb von seinem »seelischen Notschrei« und fragte sich, »wie er als Introvertierter in eine Kirche passen sollte, die sich selbst der extravertierten Evangelisation rühmt. Es gibt bestimmt einige von euch, die sich schuldig fühlen, wenn ihr einen persönlichen Evangelisierungsanstoß in der Kirche bekommt. Es gibt einen Platz im Reich Gottes für sensible, nachdenkliche Typen. Er ist nicht leicht zu finden, aber er ist da.« Ein anderer schrieb über seinen schlichten Wunsch, »dem Herrn zu dienen, aber nicht in einem Kirchengremium mitzumachen. In einer universalen Kirche sollte auch Platz für die Ungeselligen sein.«
McHugh stimmte in diesen Chor mit ein, zunächst mit einem Blog, in dem er eine größere Betonung religiöser Praktiken, wie Alleinsein und Kontemplation, forderte, und später mit seinem Buch Introverts in the Church: Finding Our Place in an Extroverted Culture . 18 Er argumentiert, dass für die evangelikale Bewegung Zuhören ebenso wichtig ist wie Reden, dass evangelikale Kirchen das Schweigen und das Geheimnis in die religiöse Andacht mit aufnehmen sollten und dass sie Platz für introvertierte Führungskräfte schaffen sollten, die einen stilleren Weg zu Gott aufzeigen können.
Ging es beim Beten nicht schon immer ebenso um Kontemplation wie um Gemeinschaft? Religiöse Wortführer von Jesus bis Buddha wie auch die weniger bekannten Heiligen, Mönche, Schamanen und Propheten haben sich immer in die Einsamkeit zurückgezogen, in denen sie die Offenbarungen erhielten, die sie den anderen dann später mitteilten.
Als ich schließlich den Buchladen finde, erwartet mich McHugh mit heiterer Miene. Er ist Anfang dreißig, groß und breitschultrig, trägt Jeans, ein schwarzes Polohemd und schwarze Flipflops. Mit seinem kurzen braunen Haar, dem rötlichen Kinnbart und Koteletten sieht er wie ein typischer Vertreter der in den 80er Jahren Geborenen aus, aber er hat den besänftigenden und bedachten Tonfall eines College-Professors. McHugh predigt weder in Saddleback, noch hält er hier Gottesdienste, aber wir haben beschlossen, uns hier zu treffen, weil Saddleback ein so wichtiges Symbol der evangelikalen Kultur ist.
Da die Gottesdienste gleich beginnen, bleibt nur wenig Zeit, um zu plaudern. Saddleback bietet sechs verschiedene Arten von Gottesdiensten an, die alle in einem eigenen Gebäude oder Zelt untergebracht sind und eine individuelle Note haben: allgemein, traditionell, Soft-Rock, Gospel, ein Familiengottesdienst und einer im sogenannten Ohana-Island-Stil. Wir steuern auf das Gebäude für die allgemeine Andacht zu, wo gleich Pastor Warren predigen wird. Mit seiner schwindelerregend hohen, mit Bühnenscheinwerfern bestückten Decke sieht der Innenraum wie der Austragungsort eines Rockkonzerts aus, mit Ausnahme des unauffälligen Holzkreuzes, das an der Seite des Raums hängt.
Ein Mann namens Skip wärmt die Gemeinde mit einem Song auf. Der Text wird auf fünf Großleinwände projiziert, unterbrochen von Fotos mit glitzernden Seen und Stränden bei Sonnenuntergang. Techniker mit Mikrofonen sitzen auf einem thronartigen Podium in der Mitte des Saales und richten ihre Videokameras aufs Publikum. Die Kameras verweilen bei einem jungen Mädchen – langes, silberblondes Haar, elektrisierendes Lächeln und leuchtend blaue Augen –, das aus vollem Halse singt. Mir kommen Erinnerungen an das Tony-Robbins-Seminar »Befreie die innere Kraft«. Hat sich Tony mit seinem Programm an Mega-Kirchen wie Saddleback orientiert, frage ich mich, oder ist es eher umgekehrt?
»Guten Morgen, allerseits!«, ruft Skip strahlend und bittet uns dann, unsere Sitznachbarn per Handschlag zu begrüßen. Die meisten Menschen kommen der Aufforderung lächelnd und eifrig nach, auch
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