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McHugh, aber hinter seinem Lächeln steckt ein Anflug von Stress.
Pastor Warren tritt auf das Podium. Er trägt ein kurzärmeliges Polohemd und seinen berühmten Spitzbart. Die heutige Predigt bezieht sich auf das Buch Jeremiah, sagt er. »Es wäre töricht, eine Firma ohne Geschäftsplan zu gründen. Die meisten Menschen haben jedoch keinen Lebensplan. Wenn Sie eine führende Stellung in einer Firma haben, sollten Sie immer wieder das Buch Jeremiah lesen, denn er war ein genialer Generaldirektor.« Es liegen keine Bibeln auf unseren Plätzen aus, nur Bleistifte und Karteikarten, auf denen die wichtigsten Punkte der Predigt schon abgedruckt sind mit freiem Platz dazwischen, um sich Notizen zu machen, während Warren fortfährt. Wie Tony Robbins scheint es Pastor Warren wirklich gut zu meinen; er hat das riesige Ökosystem von Saddleback aus dem Boden gestampft, und er hat auf der ganzen Welt gute Werke getan.
Aber ich kann auch verstehen, wie schwer es Saddlebacks Introvertierten in dieser Welt von emotionsgeladenen Gottesdiensten und Gebeten auf Großleinwand fällt, sich gut zu fühlen. Im Laufe des Gottesdienstes habe ich dasselbe Empfinden von Entfremdung, das McHugh beschrieben hat. Veranstaltungen wie diese vermitteln mir nicht das Gefühl von Einssein, das andere zu genießen scheinen; für mich sind es immer private Augenblicke, die mich mit den Freuden und Leiden der Welt verbinden, oft in Form einer Zwiesprache mit Schriftstellern und Musikern, denen ich nie persönlich begegnen werde. Proust nannte diese Augenblicke der Einheit von Schriftsteller und Leser »das fruchtbare Wunder der Kommunikation inmitten der Einsamkeit«. Prousts Gebrauch von religiöser Sprache war zweifellos kein Zufall.
Als würde er meine Gedanken lesen, wendet sich McHugh mir am Ende des Gottesdienstes zu. »In diesem Gottesdienst ging es dauernd um Kommunikation«, sagt er etwas verbittert. »Menschen die Hand geben, die langatmige Predigt, das Singen. Dinge, die Raum lassen zur Kontemplation, wie Stille, Liturgie, Rituale, hatten hier kein Gewicht.«
McHughs Unbehagen ist umso ergreifender, als er Saddleback und allem, wofür es steht, aufrichtige Bewunderung zollt. »Saddleback bringt Erstaunliches auf der ganzen Welt und in seiner eigenen Gemeinschaft zuwege«, sagt er. »Es ist ein liebenswürdiger, gastfreundlicher Ort, wo man aufrichtig versucht, Neuankömmlinge einzubinden. Das ist eine beeindruckende Aufgabe, wenn man bedenkt, wie kolossal groß die Kirche ist und wie leicht es für Menschen wäre, sich von anderen komplett abzuschotten. Menschen, die einen in Empfang nehmen, die informelle Atmosphäre, die Begegnung mit Menschen um einen herum – das alles ist von guten Bestrebungen motiviert.«
Doch McHugh empfindet Praktiken wie das obligatorische Lächeln und Händeschütteln am Anfang des Gottesdienstes als Qual. Auch wenn er persönlich bereit ist, es über sich ergehen zu lassen, und sogar deren Wert sieht, fragt er sich besorgt, wie vielen Introvertierten es anders ergeht.
»Es schafft eine extravertierte Atmosphäre, die für Introvertierte wie mich schwierig sein kann«, erklärt er. »Manchmal habe ich das Gefühl, es nur abzuspulen. Die äußerliche Begeisterung und Leidenschaft, die einen wesentlichen Bestandteil von Saddlebacks Kultur zu bilden scheinen, fühlen sich nicht natürlich an. Nicht dass Introvertierte nicht andächtig und enthusiastisch sein können, aber wir stellen es nicht so offen zur Schau wie Extravertierte. An einem Ort wie Saddleback kann man anfangen, seine eigene Gotteserfahrung zu hinterfragen. Ist sie wirklich so stark wie die anderer Menschen, die in die Rolle des hingebungsvollen Gläubigen passen?«
Die evangelikale Bewegung hat das Ideal der Extraversion auf die Spitze getrieben, sagt McHugh damit. Wenn man seine Liebe zu Jesus nicht lautstark verkündet, kann es keine wirkliche Liebe sein. Es reicht nicht, eine eigene spirituelle Verbindung zum Göttlichen zu finden; sie muss in der Öffentlichkeit zur Schau gestellt werden. Ist es da ein Wunder, dass Introvertierte wie Pastor McHugh anfangen, ihr eigenes Wesen infrage zu stellen?
Es ist mutig von McHugh, dessen spirituelle und professionelle Berufung von seiner Verbindung zu Gott abhängt, seinen Selbstzweifel zu bekennen. Er tut es, weil er anderen den inneren Konflikt ersparen will, mit dem er selber gerungen hat, und weil er die evangelikale Bewegung liebt und will, dass sie wächst, indem sie von den Introvertierten
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