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Titel: B00BOAFYL0 EBOK Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nassim Nicholas Taleb
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Zensorenamtes hatte Cato alle griechischen Rhetoriker daran gehindert, sich in Rom niederzulassen. Er war zu prosaisch, um ihre introspektiven Ausführungen zuzulassen.)
    Karneades war nicht der erste Skeptiker der Antike und auch nicht der Erste, der uns den echten Wahrscheinlichkeitsbegriff erläuterte. Aber kein Vorfall hatte eine spektakulärere Wirkung auf Generationen von Rhetorikern und Denkern wie dieser. Karneades war nicht nur Skeptiker, sondern auch Dialektiker und legte sich daher niemals auf die Prämissen fest, aus denen er Argumente ableitete – oder auf die Konklusionen, die er daraus zog. Sein Leben lang kämpfte er gegen dogmatische Arroganz und den Glauben an eine einzige Wahrheit. Nur wenige glaubwürdige Denker können Karneades mit seinem rigorosen Skeptizismus das Wasser reichen (zu dieser Kategorie zählen der arabische Philosoph Al Gazali aus dem Mittelalter, Hume und Kant – aber nur Popper sollte seinen Skeptizismus zu einer allumfassenden wissenschaftlichen Methodologie erheben). Da die zentrale Lehre der Skeptiker lautete, dass man nichts mit Gewissheit akzeptieren könne, konnten Schlussfolgerungen über unterschiedliche Wahrscheinlichkeitsgrade gezogen und als Verhaltensrichtlinien verwendet werden.
    Wenn wir weiter zurückblicken und nach der ersten bekannten Anwendung probabilistischen Denkens in der Geschichte suchen, finden wir erste Anklänge im sechsten Jahrhundert vor Christus im griechischen Sizilien. Dort verwendeten die allerersten Rhetoriker das Konzept der Wahrscheinlichkeit als rechtlichen Rahmen. Wenn sie in einem Fall ihr Plädoyer vortrugen, mussten sie die Existenz eines Zweifels bezüglich der Gewissheit einer Anschuldigung beweisen. Der erste Rhetoriker, den wir kennen, war ein Mann aus Syrakus namens Korax, der seinen Schülern beibrachte, wie man auf der Basis von Wahrscheinlichkeiten argumentierte. Im Zentrum seiner Methode stand das Konzept der wahrscheinlichsten Alternative. Ohne weitere Informationen und greifbare Beweise sollte beispielsweise das Eigentum an einem Stück Land an die Person übergehen, nach deren Namen es am besten bekannt ist. Einer seiner indirekten Schüler, Gorgias, brachte diese Argumentationsmethode nach Athen, wo sie auf fruchtbaren Boden fiel. Die Einführung der wahrscheinlichsten Alternative lehrte uns, mögliche Szenarien als separate, klar unterscheidbare Ereignisse zu sehen, denen jeweils eigene Wahrscheinlichkeiten entsprechen.

Wahrscheinlichkeit, das Kind des Skeptizismus
    Bis im Mittelmeerraum der Monotheismus vorherrschte, der zum Glauben an die Einzigartigkeit der Wahrheit führte (und später von kommunistischen Zwischenspielen abgelöst wurde), hatte der Skeptizismus bei vielen führenden Denkern weite Verbreitung gefunden – und sicherlich die Welt durchdrungen. Die Römer hatten keine Religion an sich; sie waren zu tolerant, um eine gegebene Wahrheit zu akzeptieren. Ihre Weltanschauung beruhte auf verschiedenartigstem, flexiblem und synkretischem Aberglauben. Ich möchte nicht zu theologisch werden, doch sei an dieser Stelle gesagt, dass wir in der westlichen Welt ein Dutzend Jahrhunderte warten mussten, bis kritisches Denken wieder an Boden gewinnen konnte. Aus irgendeinem merkwürdigen Grund waren im Mittelalter die Araber die kritischen Denker (über ihre postklassische philosophische Tradition), während das christliche Denken dogmatisch war, bis sich dann nach der Renaissance die Rollen auf mysteriöse Weise ins Gegenteil verkehrten.
    Ein Autor aus der Antike, der uns Beweise für eine solche Denkweise liefert, ist der schwatzhafte Cicero. Er zog es vor, sich von Wahrscheinlichkeiten leiten zu lassen, anstatt etwas mit Gewissheit vorzutragen – sehr praktisch, spotteten manche, denn das erlaubte ihm, sich selbst zu widersprechen. Für uns, denen Popper beigebracht hat, dass man stets selbstkritisch bleiben muss, mag das ein Grund sein, ihn umso mehr zu respektieren, denn er hielt nicht halsstarrig an Meinungen fest, nur weil er diese in der Vergangenheit geäußert hatte. Ein Feld-Wald-Wiesen-Literaturprofessor von heute würde ihm wegen seiner Widersprüche und Meinungsänderungen sicherlich Punkte abziehen.
    Erst in der Moderne entstand der Wunsch, uns von unseren eigenen Aussagen der Vergangenheit zu befreien. Nirgends wurde dies eloquenter zum Ausdruck gebracht als in dem Graffiti aufrührerischer Studenten in Paris. Die Studentenbewegung, die Frankreich im Jahr 1968 erschütterte, als sich die Jugend

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