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emotional härter trifft, eine Hypothese zu verwerfen, als sie zu akzeptieren (was als Fehler vom Typ I und Typ II bezeichnet wird). Das ist einfach eine schwierige Angelegenheit, wo wir doch Sprichwörter wie das folgende haben: felix qui potuit cognoscere causas (wer die Ursachen versteht, darf sich glücklich schätzen). Es fällt uns ungemein schwer, einfach den Mund zu halten. Dafür sind wir nicht geschaffen. Allen Ausführungen Poppers zum Trotz nehmen wir alles viel zu ernst.
Wiedersehen mit Philostratos
Bisher bot ich für das Problem der statistischen Inferenz bei niedriger Auflösung keine Lösung an. In Kapitel 3 erörterte ich den technischen Unterschied zwischen Nebengeräuschen und Sinnträgern – nun aber ist es an der Zeit, die Umsetzung zu besprechen. Der griechische Philosoph Pyrrhon von Elis, der ein von Gleichmut und Leidenschaftslosigkeit geprägtes Leben predigte, geriet ins Kreuzfeuer der Kritik, weil er unter dramatischen Umständen die Beherrschung verlor (er wurde von einem Ochsen gejagt). Seine Antwort lautete, dass es ihm bisweilen schwer falle, sich von seiner Menschlichkeit zu lösen. Wenn Pyrrhon nicht aufhören kann, ein Mensch zu sein, sehe ich nicht ein, wieso wir anderen dem von der Wirtschaftstheorie postulierten rationalen Wesen ähneln sollen, das unter ungewissen Bedingungen optimal handelt. Ich stellte fest, dass viele der durch rationale Methoden erzielten Ergebnisse, die ich mit meinen Berechnungen verschiedener Wahrscheinlichkeiten erhalte, sich nicht stark genug einprägen, um mein eigenes Verhalten zu beeinflussen. Mit anderen Worten: Ich verhielt mich wie der Arzt in Kapitel 11, der wusste, dass die Wahrscheinlichkeit einer Erkrankung bei zwei Prozent lag, aber den Patienten unwillentlich so behandelte, als leide er mit 95-prozentiger Wahrscheinlichkeit an der betreffenden Krankheit. Herz und Verstand sind bei mir nicht im Einklang.
Was bedeutet das im Einzelnen? Wie bereits erläutert, glaube ich als rationaler Börsenhändler (alle Händler brüsten sich mit ihrer Rationalität), dass es einen Unterschied zwischen Nebengeräuschen und Signalen gibt und man Erstere ignorieren, Letztere aber ernst nehmen muss. Ich verwende elementare (aber robuste) Methoden, mit denen ich für jede Schwankung in meiner Trading-performance die erwarteten Nebengeräuschs- und Signalverhältnisse berechnen kann. Wenn eine bestimmte Strategie beispielsweise zu einem Gewinn von 100 000 Dollar geführt hat, kann ich der Hypothese, dass diese Strategie profitabel ist, eine Wahrscheinlichkeit von zwei Prozent zuweisen und für die Annahme, dass diese Wertentwicklung einfach nur auf reine Nebengeräusche zurückzuführen ist, eine Wahrscheinlichkeit von 98 Prozent ansetzen. Ein Gewinn in Höhe von einer Million Dollar dagegen berechtigt zu der Annahme, dass die Strategie mit einer Wahrscheinlichkeit von 99 Prozent profitabel ist. Ein rationales Wesen würde bei der Auswahl von Strategien entsprechend handeln und seine Emotionen an die Ergebnisse anpassen. Ich dagegen habe Freudensprünge gemacht aufgrund von Resultaten, von denen ich wusste, dass sie ausschließlich auf Nebengeräusche zurückzuführen waren, und war zu Tode betrübt über Ergebnisse, die alles andere als statistisch signifikant waren. Ich kann einfach nicht anders; ich bin emotional und beziehe einen Großteil meiner Energie aus meinen Gefühlen. Die Lösung besteht also nicht darin, mein Herz zu zähmen.
Da mein Herz und mein Verstand offenbar nicht einer Meinung sind, muss ich strenge Maßnahmen ergreifen, um irrationale Handelsentscheidungen zu vermeiden. Dazu muss ich mir den Zugriff auf meinen Performancebericht verweigern, bis er ein bestimmtes Niveau erreicht hat. Das ist nichts anderes als die Trennung zwischen meinem Verstand und meinem Appetit, wenn es um den Konsum von Schokolade geht. Im Allgemeinen sorge ich in diesem letzteren Fall dafür, dass sich unter meinem Trading Desk keine Pralinenschachtel befindet.
Mit am meisten ärgern mich Gespräche mit Menschen, die Vorträge darüber halten, wie ich mich verhalten soll. Die meisten von uns wissen recht gut, wie wir uns verhalten sollten. Das Problem ist die Umsetzung, nicht Unwissenheit. Ich bin der begriffsstutzigen Moralapostel überdrüssig, die mich mit Binsenweisheiten bombardieren, wie zum Beispiel dass ich täglich Zahnseide benutzen, regelmäßig Äpfel essen und nicht nur nach guten Vorsätzen fürs neue Jahr ins Fitnessstudio gehen soll. Auf den
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