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Gier) motiviert werde. Daher stammt ein Großteil meines mathematischen Wissens aus dem Handel mit derivativen Instrumenten. Optionen trieben mich dazu, die Wahrscheinlichkeitslehre zu studieren. Viele zwanghafte Spieler von ansonsten mittelmäßiger Intelligenz entwickeln dank ihrer leidenschaftlichen Gier ein beachtliches Geschick im Kartenzählen.
Eine Parallele lässt sich auch zur Grammatik ziehen: Häufig ist Mathematik langweilige und erkenntnisarme Grammatik. Es gibt Menschen, die sich für Grammatik um ihrer selbst willen interessieren, und andere, die beim Verfassen von Dokumenten grobe grammatikalische Schnitzer vermeiden möchten. Jene von uns, die in diese zweite Kategorie fallen, werden als »Quants« (quantitative Analytiker) bezeichnet, und wie die Physiker sind wir mehr an der Anwendung eines mathematischen Werkzeugs als am Instrument selbst interessiert. Mathematiker ist man von Natur aus; man kann es niemals werden. Gleiches gilt auch für Physiker und Quants. Ob die Mathematik, die ich mir zunutze mache, »elegant« und »klar« ist, spielt für mich keine Rolle, solange ich damit nur zum richtigen Ziel komme. Ich setze so oft wie möglich Monte-Carlo-Generatoren ein. Sie können die Arbeit für mich erledigen. Sie eignen sich auch weitaus besser für pädagogische Zwecke, und daher werde ich sie für die Beispiele in diesem Buch verwenden.
Die Wahrscheinlichkeitslehre ist faktisch ein introspektives Untersuchungsgebiet, da sie sich auf mehr als eine Wissenschaft auswirkt – insbesondere auf die Mutter aller Wissenschaften, nämlich das Wissen schlechthin. Es ist unmöglich, die Qualität des von uns erworbenen Wissens zu beurteilen, ohne eine gewisse Zufälligkeit bei seinem Erwerb zu berücksichtigen und ein Argument von den zufälligen Übereinstimmungen zu befreien, die bei seiner Konstruktion eine Rolle spielen könnten. In der Wissenschaft werden Wahrscheinlichkeiten und Informationen genau gleich behandelt. Buchstäblich jeder große Denker hat sich damit beschäftigt, die meisten davon sogar obsessiv Für die beiden größten Genies, die ich kenne – Einstein und Keynes –, diente sie jeweils als Ausgangspunkt ihrer geistigen Reise. Einstein schrieb 1905 eine bedeutende Abhandlung, in der er praktisch als Erster eine zufällige Ereignissequenz, nämlich die Entwicklung schwimmender Teilchen in einer stehenden Flüssigkeit, in probabilistischen Begriffen beschrieb. Sein Artikel zur Theorie der Brown’schen Bewegung kann als Basis des Random-Walk-Ansatzes gesehen werden, dessen sich die Finanzmodellbildung bedient. Was Keynes betrifft, so sehen ihn Eingeweihte nicht als den Volkswirtschaftler, den Linke in Tweedanzügen so gerne zitieren, sondern als den Verfasser des richtungweisenden, introspektiven und aussagekräftigen Treatise on Probability (Traktat über Wahrscheinlichkeiten). Bevor er sich auf das undurchsichtige Gebiet der Volkswirtschaftslehre vorwagte, war Keynes ein Wahrscheinlichkeitstheoretiker. Er hatte daneben auch andere interessante Merkmale. Unter anderem setzte er beim Handel sein Depot in den Sand, nachdem er zuvor übermäßige Kurssteigerungen erlebt hatte – probabilistische Erkenntnisse schlagen sich eben nicht unbedingt im Verhalten derer nieder, die sie gewinnen.
Wie sich der Leser denken kann, führt der nächste Schritt von dieser probabilistischen Selbstbetrachtung zur Philosophie, insbesondere zu jenem philosophischen Zweig, der sich mit dem Wissen beschäftigt. Er wird Epistemologie, Methodenlehre oder Wissenschaftsphilosophie genannt. Auf dieses Thema werden wir allerdings erst an späterer Stelle eingehen.
Spaß auf meinem Dachboden
Geschichten schreiben
In den frühen neunziger Jahren wurde ich, wie viele meiner Freunde in der quantitativen Finanzwissenschaft, süchtig nach den verschiedenen Monte-Carlo-Generatoren, die ich mir selbst baute. Ich war begeistert von der Idee, Welten zu schaffen, und fühlte wie ein Demiurg. Es ist ein überwältigendes Gefühl, virtuelle Historien zu erzeugen und die Streuung zwischen den unterschiedlichen Ergebnissen zu beobachten. Dabei bin ich überzeugt, dass ich mit meiner Berufswahl großes Glück gehabt habe: einer der attraktiven Aspekte meiner Tätigkeit als quantitativer Optionshändler ist die Tatsache, dass ich 95 Prozent des Tages Zeit zum Nachdenken, Lesen und Recherchieren habe (oder zur »Meditation« im Fitnessstudio, auf der Skipiste oder – was wirkungsvoller ist – auf einer Parkbank).
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