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deine Meinung geändert?« »Ich habe meine Meinung nicht geändert! Ich bin sehr überzeugt von meinen Wetten! (Gelächter im Publikum) Tatsächlich würde ich jetzt noch mehr verkaufen als vorher!« Jetzt schienen meine Kollegen völlig verwirrt zu sein. »Bist du ein Bulle oder ein Bär?«, fragte mich der Stratege. Ich antwortete, dass ich die Begriffe »Bulle« und »Bär« abgesehen von ihren rein zoologischen Definitionen nicht verstünde. Wie bei Ereignis A und Ereignis B im vorherigen Beispiel war ich der Meinung, dass steigende Aktienkurse wahrscheinlicher waren (das machte mich zu einem »Bullen«), es aber besser wäre, auf fallende Kurse zu setzen (die Strategie eines »Bären«), weil die Kurse im Falle eines Rückgangs stark einbrechen könnten. Plötzlich verstanden einige der anwesenden Händler meine Argumentation und begannen ähnliche Ansichten zu äußern. Und ich wurde nicht gezwungen, an der nächsten Diskussionsrunde teilzunehmen.
Nehmen wir an, Sie, verehrte Leser, würden meine Meinung teilen, dass in der nächsten Woche die Aktienkurse mit einer Wahrscheinlichkeit von 70 Prozent steigen und mit einer Wahrscheinlichkeit von 30 Prozent fallen werden. Nehmen wir aber weiter an, dass sie im Durchschnitt um ein Prozent steigen, aber um 10 Prozent einbrechen könnten. Was würden Sie tun? Wären Sie in dieser Situation lieber ein Bulle oder ein Bär ?
Tabelle 4
Bullen und Bären sind somit also Bezeichnungen, die Menschen benutzen, die entweder nicht mit Ungewissheit arbeiten – wie Fernsehkommentatoren – oder keine Erfahrung im Umgang mit Risiken haben. Leider werden Anleger und Unternehmen aber nicht in Wahrscheinlichkeiten, sondern in Dollar oder Euro bezahlt. Daher spielt es keine Rolle, wie wahrscheinlich das Eintreten eines Ereignisses ist. Vielmehr sollte man sich überlegen, wie viel bei seinem Eintritt verdient wird. Wie häufig der Gewinn erzielt wird, ist irrelevant; es zählt die Höhe des Ergebnisses. Es ist buchhalterisch erwiesen, dass nur wenige Menschen – von Kommentatoren einmal abgesehen – einen Scheck mit nach Hause nehmen, der danach bemessen wird, wie oft sie Recht und Unrecht hatten. Der Maßstab ist ihr Gewinn oder Verlust. Was die Kommentatoren anbelangt, so wird ihr Erfolg tatsächlich daran gemessen, wie oft sie richtig oder falsch lagen. In diese Kategorie gehören auch »Chefstrategen« größerer Investmentbanken, die von der Öffentlichkeit im Fernsehen bewundert werden und bestenfalls Entertainer sind. Sie sind berühmt, haben ihre Reden scheinbar gut durchdacht, bewerfen das Publikum mit Zahlen, aber ihre Funktion besteht darin zu unterhalten, denn ihre Vorhersagen könnten nur dann Gültigkeit besitzen, wenn sie in einem statistischen Rahmen überprüft worden wären. Ihr Ruhm ist nicht etwa das Ergebnis eines elaborierten Tests – es zählt nur ihr Präsentationsgeschick.
Ein arroganter 29-jähriger Sohn
Absehen vom Unterhaltungswert, den ich aus diesen seichten Meetings ziehen kann, habe ich vermieden, als Händler eine Meinung zur Marktentwicklung abzugeben. Dies hat gelegentlich zu persönlichen Reibereien mit meinen Freunden und Verwandten geführt. Eines Tages rief mich ein Freund meines Vaters an – einer von der reichen, selbstbewussten Sorte. Er hielt sich gerade in New York auf (und um mir zu zeigen, wo wir in der Hackordnung standen, ließ er in das Gespräch einfließen, dass er mit der Concorde eingeflogen war, und äußerte sich recht abschätzig über die Bequemlichkeit dieses Transportmittels). Er wollte meine Expertenmeinung zur aktuellen Situation auf verschiedenen Finanzmärkten hören. Ich hatte wirklich keine Meinung dazu: Weder hatte ich mir die Mühe gemacht, mir eine zu bilden, noch war ich im Geringsten an der Marktentwicklung interessiert. Der gute Herr bestürmte mich weiter mit Fragen zur konjunkturellen Lage und zu europäischen Zentralbanken. Er stellte mir präzise Fragen, die zweifellos darauf abzielten, meine Meinung mit denen der anderen »Experten« zu vergleichen, die bei einer großen New Yorker Investmentgesellschaft sein Depot verwalteten. Ich machte keinen Hehl daraus, dass ich keine Ahnung hatte, und das schien mir auch nicht Leid zu tun. Finanzmärkte interessierten mich nicht, sagte ich (»ja, sicher bin ich ein Börsenhändler«), und ich würde auch keine Prognosen abgeben, Punkt. Dann erklärte ich ihm einige meiner Thesen zur Struktur des Zufalls und zur Verifizierbarkeit von Marktvorhersagen. Er
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