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kumulative Wertung nicht zählt, kommt es lediglich auf die Häufigkeit an. In allen anderen Fällen zählt das Ausmaß. Leider werden die in der Wirtschaftslehre verwendeten Techniken häufig aus anderen Fachgebieten importiert – Finanzökonomie ist immer noch eine junge Disziplin (und mit Sicherheit noch keine »Wissenschaft«). Die Vertreter der meisten Gebiete außerhalb des Finanzwesens haben keine Probleme, extreme Werte aus ihren Stichproben zu eliminieren, wenn es zwischen den einzelnen Resultaten keine signifikanten Gewinnunterschiede gibt, wie dies im Allgemeinen im Bildungswesen und in der Medizin der Fall ist. Ein Professor, der den Durchschnitt der Noten seiner Studenten ausrechnet, nimmt den höchsten und den niedrigsten beobachteten Wert – die so genannten Ausreißer – aus seiner Kalkulation heraus und berechnet den Durchschnitt der übrigen Noten, ohne dass diese Praxis als unsolide gelten würde. Bei Wettervorhersagen wird gelegentlich ebenso verfahren: Extreme Temperaturen werden nicht berücksichtigt – ein ungewöhnliches Vorkommnis könnte ja das Gesamtergebnis verzerren (obwohl wir sehen werden, dass sich dies als Fehler erweisen könnte, wenn man die zukünftige Entwicklung polarer Eiskappen vorhersagen möchte). Auch auf den Finanzmärkten wurde diese Vorgehensweise übernommen: Selten eintretende Ereignisse werden ignoriert. Dabei wird allerdings verkannt, dass die Folgen eines seltenen Ereignisses eine Firma in den Konkurs führen können.
Viele Wissenschaftler in der physikalischen Welt verhalten sich genauso unvorsichtig und legen Statistiken falsch aus. Ein ungeheuerliches Beispiel ist die Diskussion um die globale Erwärmung. Viele Wissenschaftler erkannten den Treibhauseffekt in der Frühphase nicht, weil sie in ihrer Stichprobe keine Temperaturspitzen berücksichtigten in dem Glauben, dass solche Ausschläge nicht wieder vorkommen würden. Es mag vernünftig sein, bei der Berechnung von Durchschnittstemperaturen für die Urlaubsplanung die Ausreißer beiseite zu lassen. Bei einer Untersuchung der physikalischen Eigenschaften des Wetters ist das aber nicht sinnvoll – insbesondere wenn es einem auf die kumulative Wirkung ankommt. Einige Wissenschaftler verschlossen anfangs die Augen vor der Tatsache, dass diese Spitzenwerte zwar nur selten auftreten, aber unter dem Strich einen unverhältnismäßig großen Beitrag zum Abschmelzen der Polarkappen leisten. Wie im Finanzbereich kann ein zugegebenermaßen seltenes Ereignis, das gravierende Folgen nach sich zieht, nicht einfach ignoriert werden.
Fast jeder ist überdurchschnittlich
Jim Rogers ist nicht der einzige Mensch, der dem bekannten Irrtum erliegt, der durchschnittliche und der mittlere Wert seien ein und dasselbe. Der Gerechtigkeit halber sei erwähnt, dass einige berufsmäßige Denker wie der gefeierte Philosoph Robert Nozick ihre eigenen Versionen der gleichen Fehldeutung begangen haben (abgesehen davon ist Nozick ein bewundernswerter und scharfsinniger Denker; vor seinem vorzeitigen Tod war er der wohl angesehenste amerikanische Philosoph seiner Generation). In seinem Buch The Nature of Rationality verlegt er sich, wie Philosophen es gerne tun, auf amateurhafte evolutionäre Argumente und schreibt: »da nicht mehr als 50 Prozent der Menschen überdurchschnittlich vermögend sein können«. Natürlich können mehr als 50 Prozent der Menschen überdurchschnittlich vermögend sein. Schließlich gibt es nur eine sehr geringe Anzahl ganz armer Menschen, und die übrigen gehören der Mittelklasse an. Wenn in einer Gruppe von zehn Personen neun ein Vermögen von 30 000 Dollar besitzen und einer nur 1 000 Dollar, so liegt das durchschnittliche Vermögen dieser Gruppe bei 27 100 Dollar, und neun von zehn sind überdurchschnittlich vermögend.
Abbildung 1 zeigt eine Reihe von Punkten vom Anfangsniveau W0 bis zum Periodenende Wt. Das lässt sich interpretieren als hypothetische oder reale Wertentwicklung Ihrer Lieblingshandelsstrategie, als Erfolgsbilanz eines Investmentmanagers, als Quadratmeterpreis eines Palazzos im Florenz der Renaissance, als Kursreihen an der mongolischen Börse oder als Differenz zwischen dem amerikanischen und dem mongolischen Aktienmarkt. Das Bild setzt sich zusammen aus einer bestimmten Anzahl sequenzieller Beobachtungen – W1, W2 etc. –, die so angeordnet sind, dass jeder Punkt auf der rechten Seite nach dem Punkt links davor aufgezeichnet wurde.
Abbildung 1 Elementares zu
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