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Beweisen für »genetischen Lärm« beziehungsweise »negative Mutationen« und zog sich damit den Zorn einiger seiner Kollegen zu (seine Hypothesen gingen ein bisschen zu weit). Es entspann sich eine akademische Debatte, in der sich Gould gegen Wissenschaftler wie Dawkins verteidigen musste, die in Kollegenkreisen als bessere Zufallsmathematiker galten. Bei negativen Mutationen handelt es sich um Merkmale, die überleben, obwohl sie aus Sicht der Fortpflanzungseignung schlechter sind als diejenigen, die sie ersetzen. Allerdings bleiben sie wohl kaum länger als einige Generationen erhalten (aufgrund der so genannten zeitlichen Aggregation).
Noch mehr Überraschungen stehen uns ins Haus, wenn der Zufall seine Gestalt ändert, etwa bei Regimewechseln. Hier handelt es sich um Situationen, in denen alle Attribute eines Systems sich so sehr verändern, dass sie für den Beobachter nicht mehr zu erkennen sind. Darwins Evolutionsgrundsätze gelten für Arten, die sich über sehr lange Zeithorizonte entwickeln, nicht für kurze Zeiträume – die zeitliche Aggregation macht viele Auswirkungen des Zufalls zunichte; langfristig kommen die Dinge, wie man so schön sagt, wieder ins Lot (ich würde sagen, die Nebengeräusche heben sich gegenseitig auf).
Plötzliche seltene Ereignisse führen jedoch dazu, dass wir nicht in einer Welt leben, in der die Dinge kontinuierlich zum Besseren »konvergieren«. Überhaupt ist im Leben auch nicht alles ständig in Bewegung. Der Glaube an die Kontinuität war bis zum frühen 20. Jahrhundert fest in unserer wissenschaftlichen Kultur verankert. Es wurde behauptet, dass die Natur keine Sprünge mache, und dieser Spruch wurde gerne in wohlklingendem Latein zitiert: Natura non facit saltus. Dieser Spruch wird im Allgemeinen dem Botaniker Linnaeus aus dem 18. Jahrhundert zugeschrieben, der offenbar etwas Grundsätzliches missverstanden hatte. Auch Leibniz begründete damit seine Differentialrechnung, da er überzeugt war, dass sich die Dinge kontinuierlich entwickelten, ganz gleich, bei welcher Auflösung wir sie betrachten. Wie so viele treffsicher formulierte, »stimmige« Erklärungen (aus intellektueller Sicht wirkt eine solche Dynamik sehr überzeugend) erwies sich auch diese als völlig verkehrt und wurde von der Quantenmechanik widerlegt. Auf Nanoebene entdeckten wir, dass die einzelnen Partikel (diskontinuierlich) von einem Zustand zum anderen springen und nicht gleiten.
Kann sich die Evolution vom Zufall täuschen lassen?
Wir beschließen dieses Kapitel mit folgendem Gedanken: Wie ich bereits erwähnte, würde ein in Zufallsfragen nicht sonderlich bewanderter Mensch glauben, dass ein Tier optimal an die Umgebungsbedingungen seiner Zeit angepasst ist. Darum geht es aber nicht in der Evolution; vielmehr sind zwar Tiere im Durchschnitt für ihre Umgebung geeignet, doch gilt das nicht für jedes einzelne Exemplar und nicht zu jedem Zeitpunkt. So wie ein Tier überlebt haben könnte, weil es in seinem Sample Path einfach Glück hatte, können die »besten« Vertreter eines bestimmten Geschäftszweigs zu einem Zeitpunkt diejenigen sein, die überlebten, weil sie sich außergewöhnlich gut einem bestimmten Realisierungspfad angepasst hatten – einem Pfad, in dem ein seltenes evolutionäres Ereignis einfach noch nicht aufgetreten war. Das Heimtückische daran ist die folgende Tatsache: Je länger Tiere überleben, ohne auf das seltene Ereignis zu stoßen, desto verwundbarer werden sie. Wie wir gesehen haben, wird bei einer Verlängerung der Zeitspanne ins Unendliche dieses Ereignis logischerweise sicher eintreten (Stichwort: Ergodizität ) – und die Spezies wird aussterben! Denn Evolution bedeutet Eignung für eine bestimmte Zeitreihe, nicht für den Durchschnitt aller möglichen Umgebungen.
Durch eine Hinterlist in der Struktur des Zufalls kann ein profitabler Händler wie John – eine Person, die langfristig ein reiner Verlierer ist und sich entsprechend wenig fürs Überleben eignet – kurzfristig sehr begehrenswert erscheinen und neigt somit dazu, seine Gene fortzupflanzen. Denken Sie an die hormonelle Wirkung auf die Körperhaltung eines Menschen und ihre Signalwirkung für andere potenzielle Partner. Sein Erfolg (beziehungsweise Pseudoerfolg, denn er steht ja auf tönernen Füßen) wird sich deutlich in seinen typischen Merkmalen niederschlagen. Eine unschuldige potenzielle Partnerin wird (vorbehaltlos) annehmen, dass sein genetisches Material überlegen sei – bis zum
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