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B00BOAFYL0 EBOK

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Titel: B00BOAFYL0 EBOK Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nassim Nicholas Taleb
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irrelevante Messgrößen verhielten sich launisch und widersetzten sich den vielen Versuchen, sie in Modellen abzubilden. Diese Indikatoren schwankten ziellos und ohne Vorwarnung zwischen Perioden der Stabilität und abrupten, kurzen Turbulenzen.
    Zur Verallgemeinerung begann ich ein seltenes Ereignis als jedes Verhalten zu definieren, bei dem der Ausdruck »Ruhe vor dem Sturm« angebracht sein könnte. Man wird oft vor dem alten Nachbarn gewarnt, der stets galant und zurückhaltend war und ein mustergültiges Vorbild zu sein schien, bis man sein Bild in der Zeitung sieht, wo er als geistesgestörter Amokläufer gebrandmarkt wird. Bis zu seinem Ausbruch führte er ein untadeliges Leben. Man konnte unmöglich vorhersagen, dass ein so netter Mensch zu derart pathologischem Verhalten fähig war. Als seltenes Ereignis bezeichne ich jede Fehleinschätzung von Risiken, die sich aus einer engen Auslegung von Zeitreihen aus der Vergangenheit ergeben.
    Seltene Ereignisse sind immer unerwartet, sonst würden sie ja gar nicht stattfinden. Der folgende Ablauf ist typisch: Sie investieren in einen Hedgefonds mit stabilen Renditen und geringer Volatilität. Dann bekommen Sie eines Tages einen Brief, der mit folgenden Worten beginnt: »Ein unvorhergesehenes und unerwartetes Ereignis, das nur selten vorkommt« (meine Hervorhebung). Aber seltene Ereignisse sind immer unerwartet. Im Allgemeinen werden sie von einer Panik hervorgerufen, die ihrerseits das Ergebnis einer Liquidation ist (die Anleger nehmen alle gleichzeitig die Beine in die Hand und stoßen alles, was sie in die Finger bekommen, so schnell wie möglich ab). Würden diese vom Fondsmanager oder Händler erwartet, hätten er und seine gleich gesinnten Kollegen überhaupt nicht in dieses Anlageinstrument investiert, und das seltene Ereignis wäre nicht eingetreten.
    Ein seltenes Ereignis beschränkt sich nicht auf ein einzelnes Wertpapier. Es kann ohne weiteres die Wertentwicklung eines ganzen Depots betreffen. Beispielsweise kaufen viele Händler Pfandbriefe und andere Hypothekenwertpapiere und sichern sie durch Hedging-Geschäfte ab, um die Risiken auszugleichen und die Volatilität zu mindern. Dabei hoffen sie, einen Renditeüberschuss gegenüber Staatsanleihen zu erzielen (die als Referenzgrößen für die Mindestrendite einer Anlage verwendet werden). Sie setzen Computerprogramme ein und holen sich fachkundige Unterstützung bei Spezialisten, die in angewandter Mathematik, Astrophysik, Elementarteilchenphysik, Elektrotechnik, Flüssigkeitsdynamik oder manchmal (wenn auch selten) Finanzwesen promoviert haben. Ein solches Portfolio weist über lange Zeiträume stabile Renditen auf. Dann verliert es plötzlich wie durch Zufall (ich betrachte das allerdings nicht als einen Zufall) 40 Prozent seines Wertes, obwohl Sie höchstens mit einem Rückgang von 4 Prozent gerechnet hatten. Sie rufen den Manager an, um Ihrer Wut Luft zu machen, und er erklärt Ihnen, dass dies nicht sein Fehler sei, aber irgendwie hat sich Ihre Beziehung zu ihm abrupt geändert (buchstäblich). Er wird auch darauf hinweisen, dass ähnliche Fonds mit den gleichen Problemen konfrontiert seien.
    Wie an früherer Stelle erwähnt, bezeichnen einige Ökonomen das seltene Ereignis als »Peso-Problem«. Dieser Name scheint kein unverdientes Stereotyp zu sein. Die Situation der Währung des südlichen Nachbarn der Vereinigten Staaten hat sich seit den frühen achtziger Jahren nicht verbessert. Lange Perioden der Stabilität locken die Devisenhändler der Banken und Hedgefondsmanager in Scharen in die ruhigen Gewässer des mexikanischen Pesos; sie halten diese Währung gerne, weil sie so hohe Zinsen abwirft. Dann bricht »unerwartet« ein Sturm los; sie machen Verluste für ihre Investoren, verlieren ihre Jobs und suchen sich einen anderen Beruf. Daraufhin bricht eine neue Phase der Stabilität an. Neue Devisenhändler, die sich nicht an das schlimme Ereignis erinnern können, drängen auf den Markt. Sie halten Investments im mexikanischen Peso für attraktiv, und die Geschichte wiederholt sich.
    Kurioserweise sind solche seltenen Ereignisse bei den meisten festverzinslichen Wertpapieren zu beobachten. Im Frühjahr 1998 erklärte ich zwei Stunden lang einem damals bedeutenden Hedgefondsmanager das Konzept des Peso-Problems. Ich gab mir große Mühe, ihm zu zeigen, dass dieses Konzept auch für jedes andere Anlageinstrument gilt, das auf einer naiven Interpretation der Volatilität in Zeitreihen aus der

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