B00BOAFYL0 EBOK
als die erwartete Quadratwurzel von n. Andererseits wird unser Wissen über das Vorhandensein roter Kugeln sich schlagartig verbessern, sobald wir eine davon finden. Dieses asymmetrische Wissen ist keine Banalität. Sie ist vielmehr das Kernthema dieses Buches – und ein zentrales philosophisches Problem für Menschen wie Hume und Karl Popper (mehr dazu später).
Um die Performance eines Anlegers zu messen, müssen wir also entweder intelligentere, weniger intuitive Verfahren einsetzen oder unsere Einschätzungen auf Situationen beschränken, in denen wir uns unabhängig von der Häufigkeit der betreffenden Ereignisse ein Urteil bilden können.
Ein unartiges Kind tauscht die roten Kugeln aus
Aber es kommt noch schlimmer. In manchen Fällen werden wir bei einer zufälligen Verteilung der roten Kugeln niemals wissen, wie sich der Inhalt unserer Urne zusammensetzt. Das bezeichnet man als Problem der Stationarität. Stellen Sie sich eine Urne vor, die unten hohl ist. Während ich daraus Stichproben entnehme, legt unten ohne mein Wissen ein unartiges Kind weitere Kugeln in der einen oder anderen Farbe hinein. Meine Schlussfolgerungen werden unwesentlich. Ich könnte folgern, dass die roten Kugeln 50 Prozent des Inhalts der Urne ausmachen, während dieser böse Schlingel, der meine Folgerungen gehört hat, flugs alle roten Kugeln durch schwarze ersetzt. Somit steht ein Großteil unseres statistisch abgeleiteten Wissens auf unsicherem Boden.
Genau der gleiche Effekt ist auch an der Börse zu beobachten. Wir betrachten die historische Entwicklung als eine homogene Stichprobe und glauben, dass wir unser Wissen über die Zukunft durch Beobachtung der Stichprobe der Vergangenheit spürbar verbessern können. Was geschieht aber, wenn unartige Kinder die Zusammensetzung der Urne verändern? Mit anderen Worten: Was passiert, wenn sich die Rahmenbedingungen geändert haben?
Ich studiere und praktiziere mehr als mein halbes Leben lang Ökonometrie (seit meinem 19. Lebensjahr), sowohl in der Theorie als auch in meiner Tätigkeit als quantitativer Händler von derivativen Instrumenten. Die »Wissenschaft« der Ökonometrie besteht in der Anwendung statistischer Methoden auf Stichproben, die zu verschiedenen Zeitpunkten entnommen wurden. Wir nennen das Zeitreihen. Sie beruht auf der Untersuchung von Zeitreihen, die sich aus wirtschaftlichen Variablen, Daten und anderen Aspekten zusammensetzen. Als ich mit der Ökonometrie anfing und noch fast gar nichts wusste (noch weniger als heute), fragte ich mich, wieso Zeitreihen, in denen Aktivitäten inzwischen verstorbener oder in Ruhestand gegangener Personen aufgezeigt wurden, eine Rolle für Zukunftsprognosen spielen sollten. Ökonometriker, die sehr viel mehr über solche Dinge wussten als ich, überlegten sich das nicht, was darauf hindeutete, dass es sich hier aller Wahrscheinlichkeit nach um eine dumme Frage handelte. Der berühmte Ökonometriker Hashem Pesaran antwortete auf eine ähnliche Frage, man sollte »mehr und bessere Ökonometrie« betreiben. Heute bin ich überzeugt, dass ein Größteil der Ökonometrie möglicherweise nutzlos ist – viele Erkenntnisse der Finanzstatistiker sind vielleicht gar nicht wissenswert. Denn die Summe einer Reihe von Nullen bleibt null, auch wenn man diesen Vorgang eine Milliarde Mal wiederholt. Ebenso führt die Akkumulation von Forschung und Komplexität zu nichts, wenn sie nicht auf einem festen Fundament ruht. Die Untersuchung der europäischen Finanzmärkte in den neunziger Jahren wird für einen Historiker sicherlich sehr aufschlussreich sein, doch welche Schlussfolgerungen können wir heute angesichts der Tatsache ziehen, dass sich die europäischen Institutionen und Märkte so stark verändert haben?
Der Ökonom Robert Lucas versetzte der Ökonometrie einen schweren Schlag, als er argumentierte, dass rational denkende Wesen allein schon aufgrund ihrer Rationalität vorhersehbare Muster aus der Vergangenheit ableiten und sich anpassen würden und folglich historische Informationen für Zukunftsprognosen völlig nutzlos seien (in einer sehr mathematischen Formulierung brachte ihm dieses Argument den Preis der schwedischen Zentralbank zu Ehren Alfred Nobels ein). Wir sind menschliche Wesen und handeln auf der Basis unseres Wissens, in das wir unter anderem Daten aus der Vergangenheit integrieren. Ich kann sein Argument anhand folgender Analogie veranschaulichen: Wenn rationale Händler ein Muster entdecken, bei dem Aktienkurse an
Weitere Kostenlose Bücher