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studiert hat. Aber ich kann damit rechnen, dass sie dem Klavier Musik entlocken wird. Nur selten stellt sich heraus, dass jemand, der in der Vergangenheit gut genug Klavier gespielt hat, um in die Carnegie Hall eingeladen zu werden, einfach nur Glück gehabt hat. Die Erwartung, dort am Klavier eine Hochstaplerin zu erleben, die einfach wild in die Tasten haut und lediglich Missklänge produziert, ist für mich gering genug, dass ich sie völlig ausschließen kann.
Letzten Samstag war ich in London. Samstage in London haben eine magische Qualität; die Stadt ist geschäftig, aber ohne den mechanischen Fleiß eines Werktages oder die melancholische Resignation eines Sonntags. Ohne Armbanduhr und Pläne fand ich mich vor meinen Lieblingsstatuen von Canova im Victoria and Albert Museum wieder. Meine berufliche Neigung legte mir sofort die Frage nahe, ob der Zufall bei der Entstehung dieser in Marmor gemeißelten Figuren eine große Rolle gespielt hat. Diese Körper sind realistische Nachbildungen menschlicher Gestalten, aber harmonischer und ausgewogener als alles, was Mutter Natur meiner Erfahrung nach bisher aus eigener Kraft hervorgebracht hatte (Ovids materiam superabat opus fällt einem ein). Kann diese Schönheit ein reiner Zufallstreffer sein?
Ich kann fast die gleiche Aussage über jeden machen, der in der physisch greifbaren Welt oder in einem Feld tätig ist, in dem der Zufall nur eine geringe Rolle spielt. Im Wirtschaftsleben ist das allerdings stets problematischer. Ich bin beunruhigt, weil ich morgen bedauerlicherweise einen Termin mit einem Fondsmanager habe, der sich bei der Suche nach Investoren meine Unterstützung und die meiner Freunde wünscht. Er hat, wie er sagt, einen »guten Track Record«. Ich kann daraus lediglich ableiten, dass er gelernt hat zu verkaufen und zu kaufen. Und Spiegeleier braten ist schwerer als das. Nun ja, die Tatsache, dass er in der Vergangenheit Geld verdiente, mag relevant sein, ist aber auch nicht von herausragender Bedeutung. Das soll nicht heißen, dass dem immer so ist; es gibt Fälle, in denen man einer Erfolgsbilanz trauen kann, aber leider gibt es davon nicht allzu viele. Wie der Leser mittlerweile weiß, kann dieser Fondsmanager während seiner Präsentation mit kritischen Zwischenfragen meinerseits rechnen, insbesondere wenn er nicht das Mindestmaß an Bescheidenheit und Selbstzweifel zeigt, das ich von einem Zufallspraktiker erwarten würde. Ich werde ihn vermutlich mit Fragen bombardieren, auf deren Beantwortung er womöglich nicht vorbereitet ist, da ihn seine früheren Ergebnisse geblendet haben. Ich werde ihm höchstwahrscheinlich erklären, dass Machiavelli mindestens 50 Prozent im Leben dem Glück zuschrieb (und den Rest der Gerissenheit und Kühnheit) – und das war vor dem Entstehen der modernen Finanzmärkte.
In diesem Kapitel werde ich einige bekannte Eigenschaften von Performance-Aufzeichnungen und historischen Zeitreihen zeigen, die unserer Intuition widersprechen. Das hier vorgestellte Konzept ist in verschiedenen Varianten unter Bezeichnungen wie Survivor Bias, Data Mining, Data Snooping, Überanpassung oder Regression zum Mittelwert weithin bekannt. Im Grunde handelt es sich hier um Fälle, in denen die Leistung vom Beobachter aufgrund einer Fehleinschätzung der Bedeutung des Zufalls übertrieben dargestellt wird. Das hat mit Sicherheit recht beunruhigende Konsequenzen. Dieses Konzept gilt auch für allgemeinere Situationen, in denen der Zufall eine Rolle spielt, wie bei der Wahl einer medizinischen Behandlung oder der Auslegung zeitgleich stattfindender Ereignisse.
Wenn ich versucht sein sollte, einen möglichen zukünftigen Beitrag der Finanzforschung zur Wissenschaft im Allgemeinen zu nennen, würde ich die Analyse von Data Mining und das Studium des Survivor Bias anführen. Diese beiden Konzepte wurden im Finanzwesen verfeinert, lassen sich aber auf alle anderen Bereiche wissenschaftlicher Untersuchungen anwenden. Warum bietet der Finanzbereich eine so reiche Ausbeute? Weil es sich hier um eines der wenigen Forschungsgebiete handelt, in denen uns viele Informationen (nämlich zahllose Kursreihen) zur Verfügung stehen, wir aber im Gegensatz zu anderen Disziplinen, wie der Physik, keine Experimente durchführen können. Diese Abhängigkeit von historischen Daten ist auch der Grund für die größten Mängel der Finanzwissenschaft.
Täuschende Zahlen
Placebo-Investoren
Ich werde häufig mit Fragen wie dieser konfrontiert: »Für wen halten
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