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einen Augenblick um Fassung ringen, als sie das Foto sah?
Sam wälzt sich im Bett herum. Irgendwann schlägt der aufkommende Wind die Tür zwischen Schlaf- und Wohnzimmer zu.
Endlich schläft sie ein.
9
Sam schreckt auf. Es ist früher Morgen und kalt im Schlafzimmer. Sie zieht die Decke bis zum Kinn hoch, blinzelt verschlafen. Immer noch fegen Windstöße um die Häuser. Es nieselt, das Fenstersims und der Boden darunter sind ganz nass. Widerwillig krabbelt Sam aus dem Bett und schließt das Fenster. Im Wohnzimmer liegen feuchte Platanenblätter. Der Wind muss sich über Nacht zum Sturm ausgewachsen haben. Sie sammelt die Blätter auf und wirft sie in den Mülleimer. Sogar aus dem Fotokarton sind ein paar Bilder herausgeweht und haben sich im ganzen Zimmer verteilt.
Sie räumt die herumliegenden Fotos ein. Die Ausstellung! Sie muss den Sonntag nutzen, unbedingt vorankommen, vielleicht hat Luna Zeit und vielleicht kann Sam das Kaffeetrinken und den Spaziergang mit den Eltern schwänzen.
Sie setzt sich vor den Rechner. Keine Mail von Joanie.
Seufzend betrachtet Sam die vorsortierte Fotobox. Sie muss sich entscheiden, was mit dem Foto geschehen soll, das sie seit Tagen nicht loslässt. Sam geht zum Schreibtisch.
Das Foto ist weg.
Sie sucht unter dem Tisch, unter dem Sofa, klappt sogar den Teppich zurück.
Kein Foto.
Panisch beinahe reißt Sam das Fenster auf, sieht auf die Straße. Abgerissene Zweige liegen in den Pfützen, Platanenblätter, ein Coffee-to-go-Becher. Sie schnappt sich den Hausschlüssel und geht die Pfarrgasse ab.
Es ist albern, denkt sie. Das Foto kann ja nicht aus dem Fenster geweht worden sein. Der Fotokarton fällt ihr ein, die über das ganze Zimmer gewirbelten Bilder. Wenn das Foto hier draußen liegt, ist es bei dem Regen durchweicht worden. Und unbrauchbar. Obwohl ihr diese Möglichkeit Angst macht, beglückwünscht sie sich zu ihrer Entscheidung, gestern schon in Jerrys Photoshop gewesen zu sein. Wenigstens ist die Aufnahme nicht völlig zerstört.
Erst als sie wieder in der Wohnung steht, merkt Sam, dass sie im Pyjama auf der Straße herumgelaufen ist.
Den Rest des Vormittags verbringt sie mit Vorarbeiten für die Ausstellung. Sie ordnet die Fotos in eine Reihenfolge, die ihr sinnvoll erscheint, und formuliert Bildunterschriften. Die Aufnahmen, die Nikolaj einscannen soll, hat sie in den wattierten Umschlag von Jerry gesteckt. Sie sind ebenfalls in der Reihenfolge nummeriert. Ich denke für alle mit, seufzt Sam im Stillen. Der Regen verzieht sich, mittags scheint die Sonne ins Zimmer.
Um kurz vor zwei ruft Victoria an.
»Sei so nett, komm etwas früher. Am besten gehen wir zuerst zum Friedhof. Am Spätnachmittag soll es wieder regnen.«
Sam ist so überrumpelt, dass alles, was sie sich vorgenommen hat, zusammenbricht.
Sie wollte Victoria sagen: Sei mir nicht böse, ich schaffe es heute nicht. Ich bin gerade mitten in den Vorbereitungen für deine Ausstellung.
Stattdessen sagt sie: »In Ordnung, Mutter.«
Sie ist ein Waschlappen. Kein Wunder, dass Ralf genug von ihr hatte. Tränen steigen hoch. Sam schluckt sie herunter. Sie steht vor dem Kleiderschrank, wählt eine helle Hose und eine Tunika in einem dunklen Rot.
Die Hose ist zu eng geworden, sie kneift am Bauch.
Sam zieht den Bauch ein. Sie mag diese Hose, den weichen Stoff, das Blümchenmuster am Saum. Wenn sie die Tunika darüber trägt, kann sie den Knopf offen lassen. Oder sie versetzt den Knopf.
Kurzerhand schneidet Sam den Knopf ab, legt ihn auf den Schreibtisch, behilft sich mit einer Sicherheitsnadel und zieht die Tunika über ihren Kopf. Falls es nachher tatsächlich regnet, hat sie den Trench dabei.
Sam wirft einen kurzen Blick zurück. Der PC läuft noch. Sie klickt auf ihre Inbox. Keine Mail von Joanie.
10
»Na, ob das eine Freundschaft fürs Leben wird, was meint Ihr?«
Robert Förster hat sich bei seinen Kindern untergehakt. Sie gehen den Friedhof entlang, an Familiengräbern und kleinen Mausoleen vorbei. Die Sonne steht hoch am Himmel, die Bäume und ihre Zweige werfen irisierende Schatten auf den Weg.
Vor ihnen gehen Victoria und Trixi, Arm in Arm. Natürlich ist es Victoria gewesen, die ihren Arm unter Trixis geschoben hat. Beide sprechen angeregt miteinander.
»Sehen wir mal.« In Nikolajs Stimme klingen Zweifel.
»Sie ist clever, deine Trixi«, sagt sein Vater.
Was auch immer er damit meint, denkt Sam. Er jedenfalls will es harmonisch und gemütlich. Er konnte noch nie gut Konflikte
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