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Titel: B00DJ0I366 EBOK Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Friederike Schmöe
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hinter ihm. Sie ist allein mit Blanca.
    Sam steht auf, geht ans Fenster. Regenwolken hängen über den Klinikgebäuden, feiner Niesel fällt auf die Dächer. Jäh fühlt sie sich eingesperrt, sehnt sich nach frischer Luft und danach, durch die Straßen zu laufen. Sie geht zur Tür und hastet durch die Gänge zum Fahrstuhl. Sieht gerade noch, wie die Türen sich hinter Robert schließen. Ungeduldig drückt sie auf die Tasten. Es dauert Ewigkeiten, bis der nächste Lift kommt. Sie hämmert auf die Taste ›Erdgeschoss‹. Gemächlich setzt der Lift sich in Bewegung. Sam wird wütend auf die Trägheit der Technik, sie tritt von einem Fuß auf den anderen. Zieht ihr Handy aus der Tasche. Es ist ausgeschaltet. Sie will Robert anrufen, will ihn bitten, zu bleiben, auf einen Kaffee, nur um zu reden.
    Doch bevor das Handy aufgestartet ist, hält der Fahrstuhl. Sam läuft durch die Eingangshalle. Robert ist nirgends zu sehen.
    Sie eilt durch die automatische Tür. Es ist unerwartet kühl draußen. Der Nieselregen setzt sich auf Sams Haar. Sie schaut sich um. Unten an der Straße sieht sie ihren Vater stehen, sieht zu, wie er suchend nach rechts und links blickt. Ein roter Smart hält am Gehsteig. Robert beugt sich hinab, öffnet die Beifahrertür. Sam rennt.
    Robert sagt etwas, lacht, zieht sein Jackett aus. Sam bleibt stehen, wenn er sich umdreht, wird er sie sehen, sie kann sich nirgends verstecken. Ihr Vater jedoch dreht sich nicht um. Er fühlt sich vollkommen im Reinen mit sich und der Welt, steigt zu einer Frau ins Auto, küsst sie, schlägt die Tür zu. Sam sieht, wie er sich anschnallt, und wie die Frau den roten Wagen vorsichtig in den Verkehr fädelt.

19
    Sam nimmt einen dicken Umschlag aus ihrem Briefkasten. Die Fotos, die Jerry bearbeitet hat. Sie schließt ihre Wohnungstür auf, schnickst die Schuhe weg. Es ist stickig im Zimmer.
    Auf ihrem Schreibtisch steht ein riesiger Fliederstrauß. Darunter eine Karte:
    Melde dich! Victoria

    Melde dich, Victoria? Sam schiebt die Karte weg. Sie hat ihren Eltern den Ersatzschlüssel für die Wohnung gegeben, aber bislang ist es nicht vorgekommen, dass einer von ihnen ohne Vorwarnung reingegangen ist.
    Der Flieder verströmt einen intensiven, betäubenden Duft. Sam öffnet ein Fenster und atmet tief die feuchte Luft ein. Sie geht duschen, lässt lange das heiße Wasser über ihren Körper laufen. Sie seift ihr Haar mit Shampoo ein. Als sie aus der Dusche steigt, muss sie die Badezimmertür öffnen, weil der Spiegel ganz beschlagen ist. Sie fröstelt, schlüpft in ihren Bademantel, geht ins Wohnzimmer und schließt das Fenster.
    Anschließend gießt sie Tee auf. Jede Bewegung, jede Handlung bereitet in Gedanken die folgende vor: Jetzt lasse ich den Tee ziehen, und wenn das gemacht ist, fülle ich ihn in die Thermoskanne, föne mein Haar … Sams Schläfen pochen. Sie braucht das Gerüst aus simplen Dingen, um nicht zu weinen. Wenn sie anfängt zu weinen, wird sie nicht mehr aufhören können. Sie wird nicht mehr funktionieren. Alles wird durcheinandergeraten.
    Sie trocknet ihr Haar, zieht sich an, frische Jeans, Pulli, bindet die langen Strähnen zum üblichen Pferdeschwanz.
    Nachdenklich betrachtet sie den Fliederstrauß. Melde Dich! Victoria. Blumengeschenke bedeuten Versöhnung, Freundschaft, Anerkennung. Der kurze Gruß auf der Karte hingegen klingt wie ein Befehl.
    Sam fährt den Rechner hoch.
    Eine Mail von Joanie.

    Hi Sam!
    Danke für das Foto! Entschuldige, ich habe mich länger nicht gemeldet. Meine Mom musste an der Galle operiert werden, alles war ein einziges Durcheinander. Mittlerweile habe ich herumgefragt. Meine Geschwister haben keine Ahnung, wer die Frau auf dem Foto ist. Wobei ich zugeben muss, sie hat das typische May-Gesicht. Findest du nicht?
    Tausend Grüße in Eile,
    Joanie

    Sam schreibt zurück.
    Liebe Joanie,
    danke für all die Mühe!
    Sam

    Sie kann nichts schreiben über Grace, die griechischen Protokolle, die Übersetzung und die Kartei in dem staubigen Zimmer in Meeder. Nichts über Blancas Schlaganfall und Robert, der zu einer blonden Frau in ein rotes Auto steigt. Wie sollte sie einen solchen Verrat schildern? Ist eine Familie, in der Tochter, Schwester und Schwägerin totgeschwiegen werden, überhaupt eine Familie? Oder doch nur ein irgendwie vom Zufall des Schicksals zusammengewürfelter Trupp Leute?
    Als Sam den Posteingang aktualisiert, poppt eine neue Mail auf. Sie ist vor ein paar Minuten eingegangen, kommt von der Kreativdirektorin

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