B00DJ0I366 EBOK
erschrecken Sam. Ihr wird heiß.
»Ich meine, was wäre so schlimm, dich und deine Brüder darüber zu informieren, dass ihr eine Tante hattet?«
»Nichts. Wir wären mit diesem Wissen wie selbstverständlich aufgewachsen.«
»Du sagst es.«
Sam weiß, dass mit ihrer Sippe einiges nicht stimmt. Sie hat schon lange unter dem aufgezwungenen Zusammenhalt gelitten. Aber ihr ist nie aufgefallen, wie viel Subtiles in dem Familiengetue mitschwang. Wie sich Fesseln um sie schlangen, die sie mit Unterschwelligem unter Kontrolle hielten. Jetzt blitzt die eine oder andere schmerzhafte Erkenntnis hoch. Sam kann sich dem Ganzen nicht stellen. Sie kann nicht tiefer bohren, nicht im Moment.
»Ich muss klarkommen«, sagt sie wie zu sich selbst. »Ich muss mich um Blanca kümmern. Und ich will wissen, wer die Frau ist, mit der mein Dad sich trifft. Außerdem brauche ich einen Auftrag.«
»Da kann ich vielleicht helfen.« Luna packt endlich Sams Einkäufe aus. »Lass uns was essen, ich habe einen Mordshunger.«
Dankbar kämpft Sam sich aus dem Sitzsack hoch, sucht Teller und Besteck heraus. Sie kennt sich bei Luna aus wie in ihrer eigenen Küche.
»Ich werde in der nächsten Zeit wirklich viel zu tun haben. Magst du nicht bei mir einsteigen?«
Sam starrt Luna an.
»Guck nicht so. Ich kann dich nicht anstellen, nicht fest, so mit Sozialabgaben und dem ganzen Schrott. Aber ich könnte dir einen Werkvertrag geben.«
»Luna …«
»Ich weiß, du willst deine eigenen Sachen machen, das ist ohnehin klar. Wollen wir alle. Es wäre ja nur, bis wir mit der ersten richtigen Kollektion von Lu-Naht rumkommen. Also, für mich allein ist es zu viel Arbeit. Ich habe gestern Abend auf der Fahrt von Frankfurt hierher die ganze Zeit gegrübelt, wie ich das schaffen soll. Ich kenne zwar ein paar gute Designer, aber die machen alle ihr eigenes Ding.«
Wie praktisch für dich, denkt Sam müde, dass die dusselige Sam im Augenblick so ein Pech hat.
»Danke, Luna, aber …« Sie will nicht aus Mitleid mit Brosamen abgespeist werden.
»Mensch, Sam, die Kollektion wird der Knaller!« Luna geht zum Schreibtisch und zieht eine Mappe aus dem Rucksack. »Hier!«
Sam nimmt die Mappe und studiert die Entwürfe.
»Sagenhaft, Luna, wirklich: Da ist dir was Fabelhaftes gelungen.«
»Danke.« Luna macht eine Verbeugung. »He, Sam, gib deinem Herzen einen Stoß. Denk wenigstens drüber nach, ob du mitmachst.«
»Ich bin nicht besonders originell.«
»Wie bitte?«
»Sieh mich an. Jeans, Sweater, Pferdeschwanz. Sieht so eine Designerin aus?«
Luna lacht laut auf. »Nein, Schätzchen, das ist keine wirklich gute Begründung. Du hast prima Klamotten im Schrank, dafür habe ich gesorgt, und wenn die nicht ausreichen, ich weiß, wie und wo wir an schickes Zeug kommen.«
»Naja, das Label hat sehr freundlich geantwortet. Zuvorkommend.«
»Du meinst: nichtssagend.«
»Luna, ich packe das nicht. Ich bin kein Kreativcrack, der ständig auf Kommando mit neuen Ideen rüberkommt. Noch dazu unter Zeitdruck und mit der Konkurrenz im Nacken.«
»Daran kann man sich gewöhnen, Sam, und das weißt du.«
»Ich kriege nichts zustande.«
»Rede keinen Müll. Natürlich! Im Studium …«
»Studium ist nichts im Vergleich zu dem, was einen erwartet, wenn man sich selbständig macht.« Sam denkt an das missmutige Gesicht ihrer Mutter, als sie ihr eröffnete, dass sie als freiberufliche Designerin arbeiten wolle. Irgendetwas passte Victoria nicht daran, während Robert und Blanca sie ermutigten. Aber von der Entschlossenheit der Anfangsphase ist nicht mehr viel übrig. Sam ist ausgelaugt. Desillusioniert.
Sie schweigen eine Weile. Schließlich schneidet Luna entschlossen ein Brötchen auf und streicht Honig darauf. »Jetzt pass mal auf. Du versprichst, dass du drüber nachdenkst. Ich gebe dir eine Vertragskopie, damit du weißt, in welche Richtung alles laufen soll. Ich werde in den nächsten Wochen damit zu tun haben, Prototypen zu entwerfen und zu nähen. Die bringe ich nach Frankfurt, wo endgültig entschieden wird, was sie nehmen. Tja, und dann …«
Sam lächelt.
»So gefällst du mir besser.« Luna reicht Sam das bestrichene Brötchen. »Leg einen Zahn zu, wir frühstücken besser gut, damit wir was im Magen haben, wenn wir deine Großmutter aus dem Krankenhaus abholen. Und auf dem Weg dahin erzählst du mir von dem Mann.«
25
Victoria steht auf der Terrasse. Der Garten gleitet vor ihren Augen in die Dunkelheit, wie ein Schiff, das beim Anbruch der
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