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erzogen und zu zurückhaltend, um ihn zu fragen, was er da macht. Sie sieht sich um. Niemand ist hinter ihr, den er vor die Linse nehmen könnte. Als sie sich wieder umdreht, marschiert der Fotograf ans andere Ende des Raumes. Ein Kellner kommt mit einem Tablett vorbei und bietet Prosecco an. »Signori?«, fragt er.
Roman nimmt zwei Gläser.
»Hast du den Fotografen gesehen?«, zischt Sam ihm zu.
»Welchen Fotografen?«
»Er hat Unmengen Aufnahmen von mir geschossen.« Plötzlich flattert Panik in ihrem Magen. Sie fingert an ihren Haarspangen.
»Er ist auf den Jetset angesetzt«, meint Roman cool.
»Da ist er bei mir aber an der falschen Stelle.«
»Siehst du den Fettkloß, der sich jetzt an Mimi heranmacht?«
»Wer ist das?« Sam blickt gestresst auf einen grobschlächtigen Mann in den 60ern, der bis auf einen Kranz blassrosa Härchen vollkommen kahl ist und sein schwarzes Oberhemd zu sprengen droht.
»Laurenz Wilhelmi, der Eventkünstler, der tote Füchse im Wald aufsammelt, in einem Happening mit roter Farbe bestreicht und die Kadaver gegen weiße Wände schmeißt.«
»Pfui Teufel! Er scheint Ansprüche zu haben.« Mit dem Kinn weist sie auf die ätherische Mimi Stington.
Roman lacht. »Sie ist zu clever für ihn.«
Belustigt sieht Sam zu, wie Wilhelmi der zarten Frau den fleischigen Arm um die Schultern legt. Diese lässt es geschehen, reagiert jedoch nicht darauf.
Ihre Aufmerksamkeit wird wieder von dem Fotografen in Anspruch genommen, dem kleinen, drahtigen, südländischen Typen, der die Fotos von ihr geschossen hat und nun am anderen Ende der Halle mit einem Mann spricht. Der Mann hält einen Stetson in der Hand. Er trägt einen hellen Anzug und eine auffällige Krawattennadel. Sam fährt zu Roman herum.
»Roman? Das ist der Mann, der gestern mit uns auf der Bank saß!«
Aber Roman spricht mit einem jungen Typen mit dichten braunen Locken und Ray-Ban-Brille.
»Sam? Hast du eine Minute?« Roman nimmt Sam beim Arm, ausnahmsweise nicht sanft und vorsichtig, sondern drängend. »Das ist Michele Farin vom italienischen Journalistenverband. Er hat uns die Tickets besorgt.«
»Hi, nice to meet you!«, Michele lächelt Sam an. Er hat strahlend blaue Augen hinter der dicken Brille. Sein Blick bleibt lang an Sam hängen.
»Nice to meet you«, sagt sie automatisch. Sie ist immer noch verwirrt und sieht sich nach dem Fotografen um, der ins Gespräch mit dem Herrn im hellen Anzug vertieft ist und so wild gestikuliert, dass Sam Bedenken hat, seine Kamera könnte ihm aus der Hand fallen.
Nein, es sei kein Problem gewesen, für Roman Hallstein und Begleitung zwei biglietti für die Finissage aufzutreiben. Absolut nicht, jemand hat ohnehin angerufen und für Signor Hallstein zwei Karten reserviert. Namentlich. Alla cortese attenzione di Roman Hallstein.
Sam, abgelenkt von einem weiteren Pressemann, der sich zu den beiden anderen am Ende des Raumes gesellt, horcht auf.
»Namentlich?«, fragt sie.
Roman sieht verwirrt aus. »Wirklich? Ich habe doch am Freitagabend erst die Mail abgeschickt, ich habe mir nicht unbedingt große Hoffnungen gemacht …«
»Nein«, antwortet Michele lächelnd. »Schon am Freitagmorgen haben wir die Benachrichtigung erhalten.«
Sam sieht sich plötzlich von Fotografen umringt. Jemand mit einem Mikrofon nähert sich. Sie liest die Buchstaben BBC. In ihrem Kopf beginnt alles zu dröhnen.
»Ma’am«, sagt jemand zu ihr. »Ma’am, in welcher Beziehung stehen Sie zu Eleni Tsiadis?«
Sam gleitet der Boden unter den Füßen weg. Sie stürzt den Prosecco, der in ihrer Hand längst warm geworden ist, hinunter. »I beg your pardon?«
»In welcher Beziehung …«
Leute scharen sich um sie. Sie tastet nach Romans Arm, wünscht sich, er würde sie hier herausführen, weg aus dem Museum, weg aus Venedig, in ein kühles, schattiges Land ohne Menschen. Sie versucht etwas zu sagen, entsinnt sich dann, dass sie gar nicht gemeint sein kann, lächelt unbestimmt, weicht dem Journalisten von der BBC aus, der dieselbe Frage auf Französisch stellt. » … avec Madame Eleni Tsiadis?«
»Ich habe mit Frau Tsiadis nichts zu tun«, antwortet Sam. Der Sekt rotiert in ihrem Magen. Alles dreht sich. Sie will hier raus!
Tumult an der Tür. Die Journalisten und Fotografen lassen von ihr ab, wenden sich dem Museumseingang zu. Eine schlanke, beinahe hagere Frau in einem ärmellosen, knöchellangen, sehr engen schwarzen Kleid tritt ein. Sie geht am Stock. Ein kirschroter Chiffonschal liegt um ihre
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