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bitte dich. Lass uns in der Familie alles in Ruhe besprechen und dann zu den Akten legen.«
»Es gibt Dinge«, widerspricht Sam ruhig, »die ich nicht zu den Akten legen werde. Weil ich euch nicht mehr traue. Keinem von euch.« Es tut ihr weh zu sehen, wie Blanca bei diesem Satz zusammenzuckt. Aber es stimmt, Sam ist sich sicher, auch Blanca verbirgt etwas vor ihr. Ihr entgeht nicht, dass ihr Vater und Blanca einen kurzen Blick wechseln. »Roman hat die Geschichte ins Netz gestellt. Meine Geschichte. Zusätzlich zu dem Foto, auf dem du mit Grace zu sehen bist, Mutter. Niemand von euch war bereit, mir zu sagen, dass die Frau, der ich so verdammt ähnlich sehe, meine Tante ist. Das hat mich getroffen. John Carrick dagegen hat sich aus Mailand auf die Socken gemacht, ist nach Coburg gekommen und hat mir berichtet, was er weiß. Ohne Roman und ohne John hätte ich nichts herausgefunden. Im Übrigen habe ich Roman längst gebeten, die Informationen aus dem Netz zu nehmen. Er hat es getan. Mir zuliebe.«
»Und wer ist dieser Roman?«, faucht Victoria. »Warum traust du ihm, aber uns nicht?«
»Er lügt mich nicht an.«
»Woher willst du das wissen? Vielleicht hat er ganz andere Absichten, als sich mit Samantha May ins Bett zu begeben. Weißt du überhaupt etwas über ihn? Ist er sogar hauptberuflich Blogger, oder wie das heute heißt?«
»Er ist Journalist.«
»Journalist?« Victoria lacht bitter auf. »Für welches Blatt schreibt er? Womöglich für eine unserer hiesigen Tageszeitungen, damit die Familie May sich auch so richtig schön bloßgestellt fühlen kann?«
»Victoria, bitte«, murmelt Robert.
»Roman hat zurzeit keine Arbeit.« Es rutscht Sam so heraus, sie hätte es nicht sagen müssen.
»Hat er nicht?« Triumphierend sieht Victoria von einem zum anderen. »Na, der hat sich an dich herangemacht, weil er eine gute Story gewittert hat. Etwas, was er an vorderster Front mitverfolgt, um es den Boulevardmagazinen anzubieten!«
Sam erschrickt. Ihr fällt ein, dass sie Roman auf der Rückreise von Venedig eigentlich fragen wollte, wie alles kam. Warum er nach Polen zog. Keine Arbeit hat. Aus dem Journalismus raus ist. Aber zum wiederholten Mal hat sie ihre eigenen Probleme an die erste Stelle gesetzt, konnte an nichts anderes denken.
»Ich vertraue ihm«, sagt sie trotzig. Doch Victorias Gift gewinnt bereits Macht über sie. Was, wenn ihre Mutter recht hat und Roman lediglich eine scharfe Story haben will, die er ausschlachten kann? Das ist schließlich genau ihre eigene Befürchtung!
Victoria steht auf und kommt auf ihre Tochter zu. »Tu mir einen Gefallen: Lass uns die Ausstellung hinter uns bringen. Denk an all die Leute, die wir eingeladen haben! Ich kann keine Aufregung mehr brauchen. Nicht jetzt. Seit dem Unfall bin ich ganz aus dem Konzept. Ich kann nicht arbeiten, nichts Vernünftiges tun. Glaubst du nicht, dass ich mit furchtbaren Schuldgefühlen aus Griechenland zurückgekommen bin? Dass ich Grace vermisst habe? Ja, wir haben uns furchtbar gefetzt. Trotz allem sind wir Schwestern. Und Schwestern«, setzt sie leise hinzu, »sind für die Ewigkeit.«
Blanca lehnt die Stirn ans Fenster und sieht hinaus in den dunklen Garten.
»Ich verstehe nicht, wie ihr sie verschweigen konntet!«, braust Sam auf. »Was hätte es bedeutet, uns von Grace zu erzählen? Igor, Nikolaj und mir?«
»Wir wollten dich schützen.«
Das Totschlagargument: Es ist alles nur zu deinem Besten.
»Ist es nicht eher so, dass du deine Karriere auf Grace aufbauen wolltest, Mutter? Du hast damit gerechnet, dass ein paar Jahre später niemand mehr nach Grace fragt, und schon gar nicht nach ihren Bildern. Nur John Carrick hatte Beweise. Und deshalb …«
»Deshalb was?«, zischt Victoria.
Es ist grauenvoll still im Zimmer.
»Sam«, hebt Robert an. »Ich bitte dich: Solche Anschuldigungen sind doch aus der Luft gegriffen.«
Sam überkommt eine furchtbare Müdigkeit.
»Ich habe eine lange Reise hinter mir. Ich muss mal schlafen. Ich garantiere dir, Mutter, dass ich die Ausstellung nicht sabotiere. Sie wird so stattfinden wie geplant.« Sam denkt an ihren Zeitplan, der immer enger wird. »Die Bilder lässt das Eventmanagement bei dir im Atelier abholen, Mutter. Wir müssen bloß den genauen Termin dafür festsetzen. Alles andere wird wohl laufen!« Sie kann nur hoffen, dass Nikolaj sich an die Videoinstallation gemacht hat. »Ich stehe bis zur Vernissage nicht mehr zur Verfügung. Lasst mich einfach in Ruhe. Wenn organisatorisch
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