Babel 2 - Dämonenfieber
mit fünfzehn ihre Unschuld an den Eisverkäufer verloren hatte, hatte sie darüber auch Stillschweigen bewahrt. Zumindest, bis ihrer Mutter aufgefallen war, dass sie dauernd kostenloses Eis in großen Plastikdosen mit nach Hause brachte.
»Nun zieh doch nicht so ein Gesicht. Heute Abend lassen wir s krachen.« Judith zog Tamy hinter sich her, und es blieb Babel nichts anderes übrig, als ihr zu folgen. Wenn sie Glück hatte, verlangte Judith wenigstens nicht von ihr, dass sie tanzte.
Und vielleicht konnte sie ja für einen Abend vergessen, dass Clarissa vermutlich gerade dabei war, einen Krieg anzuzetteln. Oder wie sie in Zukunft gedachte zu verhindern, dass sich Tom und Sam die Köpfe einschlugen – oder ob sie wirklich ein größeres Bett brauchte.
Babel hatte die Münze in die Luft geworfen, und es sah aus, als wäre sie endlich am Boden aufgetroffen. Nur zeigte sie überraschenderweise weder Kopf noch Zahl, sondern war einfach auf der Kante stehen geblieben.
DAMALS
Babels 15. Geburtstag
»Das ist nicht dein Ernst!« Entrüstet blieb Babel stehen.
Um sie herum lachten die Leute, die sich auf dem Marktplatz zum Stadtfest eingefunden hatten. Auf einer Bühne spielte die übliche Regionalband Coversongs von Bands, die sich schon vor zwanzig Jahren aufgelöst hatten, und hundert Menschen sangen falsch, aber laut mit.
»Ach, komm schon, das wird lustig.« Judith fasste sie ums Handgelenk und zog sie weiter, auf ein rostfarbenes Zelt zu, das aussah wie eine Mischung aus Indianer-und Campingzelt. Es stand etwas abseits der anderen Buden auf einer Wiese, auf der Dutzende Bierbänke und Tische aufgestellt waren. Der Himmel war strahlend blau, und die ersten Bierleichen hingen bereits über den Tischen und schnarchten friedlich vor sich hin, während die anderen Gäste des Stadtfests noch der feuchtfröhlichen Feier frönten.
Ein Schild über dem Eingang des Zelts verkündete: Madame LaRouge. In der Erde steckte eine kleine Kreidetafel, auf der die Preise für eine Sitzung aufgelistet waren.
»Du weißt doch, dass das Blödsinn ist«, versuchte Babel ihre Schwester zu überzeugen. »Sie ist nicht mal eine echte Hexe, das spürst du doch.«
Schmollend verzog Judith den Mund. Sie war gerade in ihrer grünen Phase, das hieß, der Lidschatten, den sie aus der Drogerie hatte mitgehen lassen, zog sich bis zu ihren hellen Augenbrauen hoch. Auch ihre Finger-und Fußnägel waren in dieser Farbe lackiert, und eine einzelne Schimmelsträhne unterbrach ihr ansonsten hellblondes Haar. Im Monat zuvor war es Rot gewesen, allerdings hatte ihre Mutter dem schnell ein Ende bereitet, weil Judith immer wieder auf der Straße von besorgten Passanten angesprochen worden war, die glaubten, sie würde im Gesicht bluten.
Der Ausflug zum Stadtfest war Judiths Idee gewesen, Babel wäre lieber ins Kino gegangen. Aber nachdem sie sich einen Tag zuvor mit ihr gestritten hatte, bestand ihre Mutter darauf, dass sie etwas gemeinsam unternahmen.
Sie hätte gleich wissen müssen, dass es unmöglich war, Judith zu etwas zu zwingen, zu dem sie keine Lust hatte. Also war sie ihr hinterhergetrottet, lustlos die Hände in den Jeans, und nun standen sie vor dem Zelt einer angeblichen Wahrsagerin.
»Willst du denn gar nicht wissen, was die Zukunft für dich bereithält?«, fragte Judith und grinste.
»Ehrlich gesagt, nein. Aber das ist ja noch nicht mal echt, das ist doch nur Verarsche für Leichtgläubige. Dafür gebe ich sicher keine Geld aus.«
Judith verdrehte die Augen. »Wer sagt, dass du Geld dafür ausgeben musst? Himmel, wozu bist du nun eine echte Hexe?«
Babel runzelte die Stirn. Ihre Mutter schärfte ihnen immer ein, dass sie mit ihren Fähigkeiten vorsichtig umgehen mussten, denn sie durften nicht zu offensichtlich werden.
Bevor Babel eine weitere Erwiderung hervorbringen konnte, hob sich die Eingangsplane des Zelts, und eine Frau mittleren Alters trat ihnen entgegen. Sie trug ein tiefblaues Kleid mit Silberstickereien am Kragen und den überbreiten Ärmeln. Ihr dunkles Haar war zu einem beängstigend hohen Knoten aufgetürmt. An den Ohren hingen Kreolen, die ihre Schultern berührten. Der rot geschminkte Mund war zu einem einladenden Lächeln verzogen, als die Frau auf sie herabsah.
»Kann ich euch helfen?«, fragte sie freundlich, und sofort rief Judith enthusiastisch: »Ja, wir wollen uns die Zukunft voraussagen lassen.«
»Dann kommt mal herein.« Sie hielt die Plane so, dass Babel und Judith eintreten konnten. Babel musste
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