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Babkin, unser Väterchen

Babkin, unser Väterchen

Titel: Babkin, unser Väterchen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz G. Konsalik
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nicht … nicht mehr in heutiger Zeit und schon gar nicht in Ulorjansk. Waninow raffte sein Gewand hoch, lief zur Kirchentür auf die Straße.
    In der Abenddämmerung sah er Babkin über den Kirchenplatz davongehen, langsam, die Hände in den Hosentaschen, ein wenig nach vorn gebeugt, ein Sieger, der nicht Körper niederzwang, sondern Seelen.
    »Gott segne dich!« sagte Waninow ergriffen. »Welch ein Schwein bin ich doch, feige und heuchlerisch! Ich schäme mich – aber niemand hat jetzt etwas davon.«
    Er ging in die Kirche zurück, ließ die Tür ins Schloß fallen, setzte sich vor das schwere Bronzekreuz, das Babkin gestiftet hatte, und dachte: Wenn das alles war, Sidor Andrejewitsch, bist du gut weggekommen. Sich schämen ist die billigste Reue. Sie hinterläßt keine Flecken, keine blauen vor allem …
    Kaum zehn Minuten später klopfte es wieder an der Innentür. Nun zögerte Waninow nicht mehr, mutig riß er die Tür auf.
    Pyljow, der Lehrer, stand davor, machte eine artige Verbeugung und sagte hastig: »Einen Rat brauchen wir, Väterchen Waninow, einen weisen Rat. Wir wissen einfach nicht mehr weiter …«
    Der Bürgermeister von Ulorjansk, der Genosse Guri Jakowlewitsch Blistschenkow, ließ sich von seiner Haushälterin Gulmira, einer dicken Kirgisin, die – nur Gott weiß, wieso – in dieses triste Städtchen verschlagen worden war, eine gewaltige Kabyrga servieren; das ist eine Hammel-Roulade mit Pfeffer und Knoblauch gewürzt. Da klingelte es an der Haustür.
    »Nanu?« sagte Blistschenkow, blickte auf seine Uhr und schüttelte den Kopf. »Erwarten wir Besuch, Gulmira?«
    »Mir ist nichts bekannt, Genosse.«
    »Sieh nach, und wenn's ein Unbekannter ist, wirf ihn hinaus.«
    Blistschenkow konnte sich auf die Befolgung dieser Anweisung blind verlassen. Niemandem war es bisher gelungen, den Turm Gulmira umzurennen. Gewagt hatte es auch keiner, denn wenn Gulmira in der Tür stand, voller Bosheit in ihrem breiten kirgisischen Gesicht, die Arme in die gewaltigen Hüften gestemmt, und einen anbellte: »He, was willst du hier, du Strolch«, dann fiel jedem alles Wünschen und Hoffen zusammen zu einem Aschenhaufen.
    Bei solch einem Weib verstummten auch sofort alle Mutmaßungen, die man sonst anstellt, wenn ein Mann sich eine Haushälterin engagiert und mit ihr Tag und Nacht unter einem Dach lebt. Undenkbar, daß Blistschenkow auch nur einen Handgriff Gulmira gegenüber tat, der nicht korrekt war, sondern irgendwelche Tätigkeit außerhalb ihrer Pflichten einleiten sollte.
    Um so verblüffter, ja, geradezu ergriffen war man in Ulorjansk, als man entdeckte, daß Gulmira doch einen Liebhaber besaß, den stillen und frommen Tokombajew. Kirgise war er wie sie, arbeitete als Wickler in einer kleinen Transformatorenfabrik, ein schmächtiges, mickriges Männlein, das – so stellte man sich das vor – bereits zwischen Gulmiras Brüsten völlig verschwinden mußte. Aber ihre Liebe war groß; jeden Sonntag standen sie Hand in Hand in der Kirche, wobei Tokombajew wie ein vergreistes Kind neben einer fleischstrotzenden Mutter wirkte.
    Blistschenkow zerteilte seine Kabyrga, wickelte den Faden von der Roulade ab, schöpfte Krautsalat auf den Teller und übergoß alles mit köstlicher brauner Butter. Aber zum Essen kam er nicht: Durch die Tür marschierte Babkin in die Stube.
    Blistschenkow fuhr, wie von einem elektrischen Schlag getroffen, in die Höhe, griff nach dem Besteck und streckte Babkin Messer und Gabel entgegen, während seine Augen förmlich aus dem Kopf quollen.
    »Gulmira!« schrie er heiser vor Entsetzen. »Gulmira!«
    Ihr breites Gesicht erschien im Türrahmen, die kleinen, schrägstehenden Augen blinzelten Blistschenkow verständnislos an. »Genosse?«
    »Habe ich nicht gesagt, kein Unbekannter …«
    »Der Genosse Babkin ist kein Unbekannter.«
    »Noch mehr ist er … er ist tot!«
    »Ein Toter kann nicht klingeln und zu mir sagen: ›Gulmira, du Kirgisenelfe, laß mich schnell zu Guri Jakowlewitsch!‹«
    Erschüttert sank Blistschenkow auf seinen Stuhl zurück und behielt Messer und Gabel abwehrbereit in den Händen. Mit irrem Blick starrte er Babkin an, der sich uneingeladen an den Tisch setzte und ihm freundschaftlich zuwinkte.
    »Wie … wieso lebst du?« stammelte Blistschenkow. »Morgen ist doch dein Begräbnis …«
    »Soll ich noch eine Kabyrga bringen?« unterbrach Gulmira das entsetzte Gestottere. »Noch eine habe ich im Topf …«
    »Verzehr sie selbst, mein Rehlein«, sagte Babkin anstelle des

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