Babkin, unser Väterchen
schlürfte noch einmal Tee aus der hohen Tasse. »Aber was bringt's? Der Betrogene bleibe ich doch. Sogar Natalja, dem fernen Töchterchen, habe ich innerlich ihre Hurerei vergeben … leben tut sie jetzt, sagt ihr, mit einem Parteifunktionär. Damit ist sie gestraft genug. Mein Tisch ist so ziemlich rein – bis auf die Löcher, die hineingebrannt sind.«
»Alles wird nun anders werden, Väterchen«, sagte Walentina tröstend. »Und Löcher kann man stopfen oder mit einer Decke zudecken …«
»Was habe ich eine kluge Familie!« Babkin erhob sich, griff nach einem Gehstock mit silberner Krücke und schwang ihn durch die Luft. Niemand in Ulorjansk hatte solch einen Stock; aus Nowgorod war er auf langen Wegen nach Sibirien gekommen, wo ihn Babkin in Tobolsk bei einem Gebrauchtwarenhändler gekauft hat, und nun beneideten ihn alle darum. »Nutzen wir den Tag.«
»Wohin willst du, Väterchen?« rief Nelli besorgt. Seit seiner Auferstehung war Babkin nicht mehr zu trauen. Die vergangenen Stunden hatten es bewiesen: Er war in der Lage, hinter sich einen Trümmerhaufen zurückzulassen.
»Durch die Stadt gehe ich! Jeder soll sehen, daß ich lebe.«
»Und Dr. Poscharskij?«
»Was ist mit ihm?«
»Lächerlich machst du ihn!« Nina rang die Hände. »Wenn du wenigstens im Bett bleiben würdest, nur zwei Tage. Um neue Kräfte zu sammeln, werden wir sagen. Noch recht schwach ist er … Damit könntest du Dr. Poscharskij retten. Es ist geradezu ungehörig gegenüber einem so guten Arzt, plötzlich von den Toten aufzuerstehen und fidel herumzulaufen, als sei nichts gewesen. Auf Bairam Julianowitschs Ruf solltest du Rücksicht nehmen; dein langsames Erholen rettet ihn. Sei nett zu ihm – er hat dir nichts getan.«
»Wißt ihr das?« rief Babkin empört. »Habt ihr dagelegen und alles angehört, was man einem Lebenden sonst nicht sagt? Bairam Julianowitsch – ich sage euch, was er mir angetan hat: eine falsche Diagnose mit einem unmöglichen lateinischen Namen! Mit einer Spritzennadel hat er mich in den Bauch gestochen, geohrfeigt hat er mich, um Waninow zu zeigen, wie tot ich bin, und was hat er noch gesagt? Ha: Meine rote Gesichtsfarbe käme vom Saufen! Mir das, einem durch und durch mäßigen Menschen! Und was steht auf dem Totenschein? Lest es doch … lest ihn … lauter Lügen! Was er da alles hingeschrieben hat – so krank kann gar kein einzelner Mensch sein. Soll man das alles übersehen?«
Er verließ das Haus, Nelli räumte den Tisch ab, Walentina öffnete den Basar, obzwar draußen ein Schild verkündete: › Geschlossen. Gott, der Herr, hat W. I. Babkin zu sich genommen.‹ Und Nina Romanowna rief den Sargmacher Mischin an, er solle seine elende Kiste endlich wieder abholen.
»Nie!« schrie Mischin ins Telefon. »Nie betrete ich dieses Haus wieder. Hat sich einer um mich gekümmert, als ich mit stockendem Herzschlag auf dem Boden lag? Wer kann nachempfinden, wie es ist, wenn man einen Toten liebevoll im Sarg zurechtrückt, und plötzlich steht er auf und beleidigt einen auch noch! Nina Romanowna, machen Sie mit dem Sarg, was Sie wollen – abholen werde ich ihn nicht. Aber bezahlen müssen Sie ihn.«
»Keine Kopeke!« schrie Nina zurück. »Einen ungebrauchten Sarg müssen Sie zurücknehmen.«
»Irrtum, meine Liebe, er ist gebraucht. Babkin lag schon drin …«
»Als Lebender! Gewissermaßen eine Liegeprobe …«
»Den Überwurf hat er zerfetzt, das Kissen zerrissen, ein Brett herausgedrückt, und als ich ihn fürsorglich hineinlegte, war er für alle tot. Sehen wir es einmal ganz anders, Nina Romanowna … für mich wäre sogar ein Schmerzensgeld zu erwägen. Dieser Schreck hätte tödlich für mich sein können …«
Man hörte, wie irgendwo im Hintergrund ein paar Schreie ertönten, und dann begann Mischins Stimme heftig zu zittern, als er ins Telefon rief: »Er kommt! Er ist in der Werkstatt! Meine Gehilfen flüchten vor ihm. O weh, o weh, mein Herz …«
Mischin legte auf, und Nina ahnte, daß Babkin jetzt dem Halsabschneider Mischin die richtige Antwort gab. Doch weit gefehlt. Zwar war Babkin in die Schreinerwerkstatt gekommen, zwar waren die Gesellen, diese Feiglinge, nach allen Seiten weggestoben – sie wußten ja noch nichts von Babkins wundersamer Auferstehung – und wenn auch Mischin, gelb wie eine Zitrone, auf seinem Stuhl klebte, Babkin war milde gestimmt. Er stieß lediglich seinen schönen Gehstock dreimal auf die Erde und stützte sich dann darauf.
»Igor Grigorjewitsch«, sagte er
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